Im Auftrag der Väter
es erneut, Sie müssen weg, ich bitte Sie, gehen Sie, hier sind Sie nicht in Sicherheit, auch wenn es in Au mittlerweile fast mehr Polizisten gibt als Einwohner, die können ein paar Tage bleiben, nicht länger, und was, wenn er Wochen oder Monate wartet? Denken Sie an Ihre Kinder, sie sind doch so jung, sie sollten die Chance haben, ohne Angst zu leben, gerade jetzt, bei den Problemen innerhalb der Familie,
gehen
Sie, um Himmels willen.
Henriette Niemann schwieg, sah sie nur an, nachdenklich immerhin, wenn auch, so kam es Louise vor, aus großer Distanz. Dann sagte sie: »Und wenn wir die Kinder wegbringen? Gleich morgen früh?«
Louise nickte.
»Carola wird nicht wollen. Helfen Sie mir mit ihr?«
»Ja.«
»Gut, dann haben wir das ja geklärt.« Henriette Niemann erhob sich, wünschte noch einmal Gute Nacht, dann waren ihre Schritte auf der Treppe zu hören, im Obergeschoss, im Bad.
Die Kinder wegbringen, immerhin.
Sie blieb sitzen, allein an dem riesigen Tisch, der eher für einen Konferenzraum gemacht zu sein schien als für eine Küche, lauschte wieder. Oben gingen Türen, im Bad rauschte das Wasser, aus der Ferne eine elektrische Zahnbürste. Andere Geräusche mischten sich hinein, vorbeifahrende Autos, für einen Augenblick prasselte Regen gegen die Fensterläden. Sie hörte den Wind, Hundegebell, glaubte plötzlich, hinter dem Haus Schritte zu hören, Stimmen, sah Schemen vor ihrem inneren Auge, die ums Haus strichen, war mit einem Mal ungeheuer nervös. Eine Stimme ließ sie zusammenfahren, Carola vor der geöffneten Tür, gute Nacht, und nochmal danke, ein müdes Winken,
ein müdes Lächeln. Sie stand auf, fragte sich, wie lange sie durchhalten würde, wie viele Nächte des Wartens, Wartens, Wartens, Nächte voller Angst, Nervosität und dieser verdammten Ahnungen.
Eine weitere Nacht ohne Schlaf, nach der Nacht der Krisen mit Jenny Böhm.
Gegen Mitternacht legte sie sich aufs Bett, wollte nur ein wenig entspannen und schlief prompt ein. Zehn Minuten später fuhr sie hoch. Sie durfte nicht schlafen, sie war doch hier, um
nicht
zu schlafen.
Das war doch ihre Aufgabe. Schließlich hatte
sie
ihn hergeführt.
Zehn Minuten mit den Schemen, die ihr schon so vertraut waren. Andreas Eisenstein war darunter gewesen, Lončar, sie selbst.
Schemen, die lautlos im Regen tanzten.
Und ein Gefühl. Im Traum oder im Schlaf hatte sie Valpovo gefühlt. Als wäre das Wort ein Gefühl geworden.
Sie schob den Teppich vor dem Bett beiseite, setzte sich auf den harten Holzboden, lehnte sich ans Holzbett mit seinen Kanten und Ecken, nickte trotzdem immer wieder für Sekunden ein.
Einmal pro Stunde machte sie eine Runde durchs Haus. Sie hatte alle Lampen brennen lassen, alle Türen standen offen, mit Ausnahme der Schlafzimmer. Erst jetzt, hell erleuchtet in der Nacht, wirkte das Haus fast freundlich. Zwischen den Rundgängen rief sie die Kripokollegen draußen im Wagen an, Gerd Breuer, Piet Schuhmacher. Keine verdächtige Person weit und breit, auch von den Streifen war nichts eingegangen.
»Fährst du nicht heim?«, fragte Breuer gegen halb vier.
»Nachtschicht.«
»
Wir
sind die Nachtschicht.«
»Dann steht’s falsch im Dienstplan.«
»Fahr heim, du hast da drin nichts zu suchen.«
»Leck mich.«
Breuer lachte fröhlich.
»Braucht ihr was zu essen? Zu trinken?«
»Nur Zigaretten.«
»Hab ich nicht.«
»Und ein Schlückchen Jägermeister. Hast du auch nicht, ich weiß.«
»Leck mich.«
»Das wollte ich nochmal hören.«
Geplänkel unter Kollegen. Alle hassten das Warten, Warten, Warten.
Zwanzig nach vier. Vermutlich noch Stunden bis zum Sonnenaufgang. Bis diese Nacht endlich vorbei war.
Die erste von wer weiß wie vielen.
Sie trank lauwarmen, zu süßen Kaffee.
Vorsichtig stand sie auf, streckte sich. Alles tat weh. Am meisten Rücken und Hintern.
Da hörte sie Schritte. Leise, kaum wahrnehmbare Schritte, unten im Flur, dann im Wohnzimmer.
Sie griff nach der Waffe, schlich in den Flur. Ihr Herz raste. Um Himmels willen vorsichtig sein mit der Waffe, ging es ihr durch den Kopf, denk an Jenny Böhm in der Nacht.
Vielleicht Lončar.
Vielleicht auch nur eines der Kinder.
Paul oder Henriette Niemann, die nicht schlafen konnten. Aber die hätte sie sehen müssen. Sie hätten an ihrem
Zimmer vorbeigehen müssen. An ihrer geöffneten Tür. Sie hatte niemanden gesehen.
Die erste Stufe der Treppe, die zweite knarzte leise.
Ein lautes, unsicheres Flüstern von unten: »Ich bin’s nur.«
Sie
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