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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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Küche. Beige bezogene Stühle, Radio wie immer in Kroatien, hin und wieder ein leichtes Schaukeln, wenn ein Motorboot vorbeifuhr. Die Drau führte wenig Wasser, das Restaurantschiff lag zehn, fünfzehn Meter unterhalb der Promenade. Sie blickten nicht auf Lichter draußen, sondern auf die betonierte Uferschräge.
    Während sie auf die Pizzen warteten, erzählte Ben Liebermann von der Häusergruppe in der Europska Avenija, zu der Nummer 16 gehörte. Man fand sie in jedem Reiseführer über Osijek, sechs, sieben Häuser, Jugendstil, Späthistorismus, Sezessionsstil nebeneinander, gelb, blau, grün, wohl als Ensemble geplant. Juwelen in einer weitgehend schmucklosen Stadt, und alle verfielen, weil nicht genug Geld da war.
    »Schau sie dir mal bei Tag an«, sagte er.
    Sie hob die Brauen, er lächelte.
    Ben Liebermann auf Abwegen, war da, wenn man dachte, man wäre allein?
    »Wenn alles andere erledigt ist.«
    »Dann zeige ich dir auch die Festung an der Drau, Tvrđa, eine kleine Stadt für sich. Achtzehntes Jahrhundert, die Habsburger haben sie gebaut, weil sie dachten, die Türken kommen wieder. Heute die Partymeile der Stadt, Cafés, Clubs, Pubs, am Wochenende Hunderte Jugendliche.«
    »Du liebst diese Stadt.«
    »Sie tut mir gut. Sie ist angenehm uneitel. Nicht schön, aber überall stößt du auf schöne, bizarre oder überraschende Details.« Eine kleine Stadt, die viel erlebt und mitgemacht habe. Die Römer, die Ungarn, eineinhalb Jahrhunderte lang die Türken, die Österreicher, dazu die Slawen, die Donauschwaben, andere Völker. 1941 von den Nazis eingenommen, 1945 von den Partisanen befreit. Die Belagerung durch die Serben Anfang der Neunziger. Und überall eben Spuren dieser Geschichte ...
    Louise nickte. »Irgendwann mal, Ben, nicht jetzt. Jetzt möchte ich über Valpovo sprechen.«
    Er nickte. Valpovo war ein kleines, unspektakuläres Städtchen mit einem barocken Schloss, das Lager existierte natürlich nicht mehr. Dort, wo es gewesen war, stand jetzt ein riesiger Supermarkt einer österreichischen Kette. Ein paar Cafés, eine große Papierfirma, viele Hundert Einfamilienhäuser in stillen Seitenstraßen, das war Valpovo.
    Louise schwieg.
    Valpovo, das waren auch die Schemen, die in ihren Träumen von der Donau hinuntergewandert waren, das war eine merkwürdige Sehnsucht, ein merkwürdiges Wort, das sie betreten wollte wie einen Ort. Eine merkwürdige Traurigkeit, weil sich ihr dieses Wort immer entziehen würde.
    Sie erzählte von dem Friedhof. Ein Foto von Holzgräbern mit deutschen Namen, vielleicht gab es noch deutsche Gräber auf dem Friedhof von Valpovo.
    »Du denkst an das Grab von Lončars Mutter?«
    »Wäre doch möglich.«
    Ben Liebermann nickte. »Wann willst du morgen los?«
    »Um acht.«
    »Nehmen wir mein Auto?«
    »Nein, meins.«
    Er fragte nicht nach. Vielleicht ahnte er den Grund. Lončar kannte den bunten Mégane, falls er ihn sah, würde er kommen. Zumindest war das ihre Hoffnung.
    »Rechnest du wirklich damit, dass du ihn findest, Louise?«
    Sie zuckte die Achseln. Eine Frage, auf die sie keine Antwort hatte.
    »Er könnte überall sein«, sagte Ben Liebermann. »In Kroatien, in Bosnien, wo auch immer.«
    »Ich weiß.«
    »Trotzdem suchst du ihn.«
    »Ja.«
    Sie erhob sich, ging zur Toilette. Minutenlang stand sie vor dem Waschbecken, sah sich im Spiegel in die Augen. Ein kleiner Schock am Abend, da war was durcheinandergeraten.
    Er könnte überall sein, Herr Niemann.
    Natürlich, ich weiß.
    Sie werden ihn nicht finden. Nicht so.
    Nein, vielleicht nicht.
    Und wenn doch? Was würden Sie dann tun?
     
    Die Pizzen kamen, ein weiteres Bier für Ben Liebermann, sie aßen, ohne zu sprechen. Dann griff er in eine Aktenmappe, reichte ihr wortlos einen in eine Supermarkttüte eingewickelten Gegenstand. Sie wog die Waffe einen Moment
lang in der Hand, sie kam ihr schwer vor, verglichen mit Walther und Heckler & Koch, kein Wunder, sie war sicherlich zwanzig Jahre alt. Sie blickte in Ben Liebermanns Augen, der sie musterte, fand keine Fragen darin, Fragen wie die, die Thomas Ilic und sie sich stellten – auf welchem Weg bist du, Louise?
    Würdest du ...?
    »Ich werde dir nicht helfen, ihn zu töten«, sagte Ben Liebermann.
    »Ich will ihn nicht töten.«
    Sie steckte die Tüte mit der Waffe in ihre Umhängetasche, aß weiter. Da war sie wieder, die Frage nach dem Weg, und plötzlich wusste sie, dass Thomas Ilic schon recht hatte, wenn er sich Sorgen machte, und Ben Liebermann, wenn er sagte, er

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