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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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wohl an der Zeit, das herauszufinden.
     
    Ein paar Minuten später zeigte Ben Liebermann auf eine Art Denkmal in einer fernen Ecke des Friedhofs, eine schräggestellte Betonplatte, in die ein mächtiges Kreuz geschnitten
war. Ein wenig aufdringlich und protzig, fand Louise, wie es Denkmäler nun mal an sich hatten, doch es erfüllte offensichtlich seinen Zweck: Es zog die Blicke auf sich. Als sie näher kamen, sah sie dahinter Dutzende einfache Gräber ohne ersichtliche Ordnung mit zum Teil verwitternden Grabsteinen, über manchen standen nur Kreuze aus Holz, ein krasser Gegensatz zu den in geraden Linien angeordneten, herausgeputzten übrigen Gräbern. »Das müssen sie sein«, sagte Ben Liebermann. »Deine deutschen Gräber.«
    Dann standen sie vor dem Denkmal, lasen die Inschrift:
Unseren unschuldigen Opfern des Genozids 1945 – 1946 im Lager Walpach. Die Donauschwaben aus der ganzen Welt. Niemals vergessen!
    »Nicht zu fassen«, sagte Ben Liebermann.
    »Nicht jetzt, Ben.«
    »Einfach nicht zu fassen.«
    »Den unschuldigen Opfern, Ben. Nicht den schuldigen. Vielleicht ist es so gemeint.«
    »Unschuld und Genozid, so überschreiben sie ihre Geschichte.«
    Sie berührte seinen Arm. »Suchen wir das Grab, ja?«
    »Es gibt auch die andere Seite, Louise. Es gibt die schuldigen Opfer.« Er zog die Schachtel aus der Tasche, zündete sich eine Zigarette an.
    »Ich weiß.«
    »Unschuld und Genozid.« Ben Liebermann lachte zornig, war nicht zu bremsen in diesem Moment, Unschuld, natürlich, aber eben auch eine SS -Division, die nur aus Donauschwaben bestand, Louise, die Prinz-Eugen-Division, bekannt für ihre Grausamkeit. Hitler-Euphorie in vielen Dörfern und Städten des Südostens, Aufmärsche der
»Volksdeutschen« unter der Hakenkreuzflagge, Antisemitismus, auch hier profitierte man, wenn jüdischer Besitz zum Verkauf gebracht wurde, wie man im Banat von der Besatzung profitierte, in Kroatien von der Bruderschaft mit den Ustasche. Und Genozid, natürlich hatte es Morde, Enteignungen, Vertreibungen, Inhaftierungen gegeben, jede Menge Grausamkeiten an den Donauschwaben, Massenmorde, die ethnischen Säuberungen gleichgekommen waren, aber Genozid, Herrgott, wie konnte man nur ...
    Er brach ab, trat die Zigarette aus. »Schwarzer, richtig?«
    »Ja.«
    »Hast du den Vornamen?«
    »Emilie.«
    »Also, suchen wir sie.«
     
    Zusammen gingen sie zwischen den Gräbern hinter dem Denkmal hindurch, lasen die deutschen Namen, Fenninger, Hauk, Flatscher, Heim, Seligmann, Steiner, Kräuter, Thalwieser, Schmidt, viele andere, und bei fast allen das Todesjahr 1945 oder 1946 . Die meisten Gräber waren einigermaßen gepflegt, mit frischen Blumen geschmückt, mit ewigen Lichtern, anderen sah man an, dass sich seit Jahren, Jahrzehnten womöglich niemand mehr gekümmert hatte. Wind und Wetter hatten Inschriften getilgt, viele Kreuze waren schief, manche Gräber bestanden nur aus einer Grabplatte, die eines Tages unter dem Gras verschwunden sein würde, andere aus einem in den Boden gerammten Kreuz mit einer kleinen Metalltafel, auf der lediglich ein Name stand. Der deutsche Teil – wenn man es so nennen konnte – wirkte wie das ausfransende Ende des Friedhofs, wuchs unter die Bäume, ins Gebüsch hinein, unter das Gras, als wollte er sich verstecken, als wollte er verschwinden.
Sie dachte an Jenny Böhm, die auf Friedhöfen Ruhe und Erbarmen fand, ganz sicher nicht hier, Jenny, hier hättest auch du nur den Schmerz und das Leid gesehen, die Gewalt und die Angst, die in diese verschwindenden, unscheinbaren Gräber eingemeißelt schienen.
    Dann fanden sie das Grab.
    Ein windschiefes verrostetes Metallkreuz im knöchelhohen Gras, ein schmales Emailleschild,
Emilie Schwarzer, 1917 ‒ 1946 .
Keine Grabplatte, kein Grabstein, keine Blumen, kein ewiges Licht, eines jener Gräber, die beinahe schon verschwunden waren, um die sich niemand kümmerte.
    Emilie Schwarzer, gestorben an Hunger und Erschöpfung im Lager Valpovo 1946 , verheiratet, ein Sohn, keine vier Jahre alt, der neben der Leiche seiner Mutter saß und die Fliegen und Mücken vertrieb, die Ameisen, die über ihr Gesicht liefen.
    Der wohl seit Jahren, Jahrzehnten nicht am Grab seiner Mutter gewesen war.
    »Warte hier, Ben.«
    Sie verließ den Friedhof, kaufte an einem der Stände einen Strauß Blumen, gelbe Blumen, deren Namen sie nicht kannte, schöne, sanftmütige Blumen. Sie wusste nicht, was sie da tat, warum sie es tat, vielleicht, weil sie Antun Lončar ein Zeichen geben

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