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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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wollte, falls er in den nächsten Tagen kam, vielleicht auch nur, damit Emilie Schwarzer nicht so schnell verschwand.
    Ben Liebermann sah ihr entgegen, sagte nichts.
    Sie legte die Blumen vor das Kreuz, gelbe Blumen im knöchelhohen Gras.
    Emilie Schwarzer, 1917 – 1946 .
    Das Emailleschild glänzte jetzt, und das Kreuz stand gerade.
    Ein Café in der Fußgängerzone, ein paar Eindrücke mehr von Valpovo, ein paar Minuten länger in diesem Ort, der so eine merkwürdige Bedeutung für sie hatte in dieser Zeit. Sie saßen auf niedrigen Wohnzimmersesseln aus braunem Leder, hinter Ben Liebermann ein Flachbildfernseher an der Wand, hinter ihr ein zweiter, auf denen Musikvideos liefen, doch aus den Boxen drang Radiomusik. Sie war Ben Liebermann dankbar dafür, dass er nicht von Antun Lončar oder Emilie Schwarzer sprach, sondern schwieg. Sie dachte, dass sie sich selbst immer weniger verstand, dass sie immer häufiger Dinge tat, die sie sich nicht erklären konnte, die ganze Reise, die Suche nach Antun Lončar, begonnen hatte es, natürlich, mit dem Wort und dem Gedanken Valpovo. Du musst da raus, dachte sie, komm da raus, das galt nun also auch für sie, nicht mehr nur für Paul Niemann.
    Die Frage war nur: Wo war sie hineingeraten?
    Sie stand auf.
    »Poreč?«, fragte Ben Liebermann.
    »Poreč«, erwiderte sie.

26
    POREč NAHE POž EGA , fünfzig Kilometer von Valpovo entfernt im Herzen Slawoniens, ein winziges Dorf offensichtlich, nur auf Karten mit entsprechendem Maßstab eingezeichnet. Sie fuhren über schmale Landstraßen, zwanzig Kilometer Bundesstraße bis Našice, wo sie hielten und in einem Schlosspark Burek mit Hackfleisch aßen. Ben Liebermann trank Bier aus der Flasche und war auffallend schweigsam, sah immer wieder herüber, und sie dachte erneut, dass es schön wäre, sich mit ihm zu beschäftigen, statt mit Antun Lončar, aber das konnte sie nicht, noch nicht. Sie spürte ihn dicht neben sich, seine Wärme, seine Ruhe, und sie spürte, dass mit ihm und mit ihr etwas geschah schon seit den ersten Stunden.
    Das musste für den Moment genügen.
    Und doch gingen ihr all die Fragen durch den Kopf, die sie ihm hier, auf der Bank im Schlosspark von Našice, gern gestellt hätte, warum Osijek, was ist das mit dem Krieg und dir, was für Abgründe, Illi hat da so was gesagt, und natürlich, warum das vorhin in Valpovo, er hatte das Schild gesäubert und das Kreuz aufgerichtet.
    Sie warf ihm einen Blick zu, irgendwann, Ben Liebermann, wenn das alles erledigt ist, aber er verstand den Blick nicht, sagte: »Was?«
    »Nichts.«
    Er nickte. »Glaubst du wirklich, wir finden ihn?«
    »Wenn nicht, dann finden wir vielleicht wenigstens Spuren von ihm, die zeigen, dass er in den letzten Wochen da gewesen ist.«
    »Das würde dir genügen?«
    Sie zuckte die Achseln. Würde es ihr genügen? Sie wusste es nicht.
    Aber vielleicht ging es ja gar nicht darum, Lončar zu finden. Vielleicht ging es nur darum, ihn zu verstehen, indem sie die Orte aufsuchte, die mit ihm verbunden waren.
    »Poreč oder Štrpci ... Was denkst du?«
    »Dass du heute zu viele Fragen stellst.«
    Ben Liebermann lachte sanft. »Fragen stellen oder rauchen.«
    »Heute lieber rauchen.«
    »Ich wollte eigentlich aufhören.«
    Sie lächelte.
    »Poreč oder Štrpci, Louise.«
    »Eher Poreč. Dort hat er am längsten gelebt. Von dort stammen seine Frau und seine Tochter.«
    »Am ehesten eine Heimat.«
    »Ja.« Aber dann wurde ihr bewusst, dass da wieder etwas durcheinandergeriet. Poreč, da wäre
sie
hingegangen, weil es am ehesten eine Heimat gewesen war. Vielleicht suchte Antun Lončar keine Heimat. Keine schönen Erinnerungen. Vielleicht suchte er ja wirklich den Hass und den Schmerz.
    Poreč möglicherweise eine Art Heimat – und Štrpci?
    Die Umsiedlung, die Rückkehr mit der eigenen Familie. Die Flucht nach Deutschland, die erzwungene Rückkehr. Der Mord an Biljana und Snježana.
    Štrpci, ein Albtraum ein Leben lang.
    Radio Otvoreni mit Rock aus den Achtzigern, Sonne, eine kurvenreiche Straße durch Hügel zwischen Našice und der Ebene von Požega, und Ben Liebermanns Schulter so dicht neben ihrer, dass sie seine Wärme wieder spürte, ohne dass sie einander berührt hätten, als wären da erhitzte Moleküle hin- und hergesprungen zwischen ihnen. Sie wusste nicht, wann sie zuletzt so etwas Ähnliches gefühlt hatte, ganz sicher nicht mit Richard Landen, das war ja alles sehr einseitig gewesen in den ersten Monaten, und Richard Landen war niemand, bei

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