Im Auftrag der Väter
Häuser. Diesseits der Drau erneut zahlreiche Cafés, unmittelbar nebeneinander, aus denen Musik drang, mal lauter, mal leiser, wieder viele Tische besetzt, wieder mächtige Markisen, als wäre die Sonne den Kroaten ein natürlicher Feind.
Und hundertfünfzig Meter weiter, am Ende der Café-Promenade, die Brücke, ein elegant geschwungener Betonsteg an Drahtseilen.
Ben Liebermann wartete schon, ein schlanker, unrasierter Mann im diffusen Licht der tiefstehenden Dezembersonne, ein paar Zentimeter größer als sie, halblange, leicht gelockte Haare, dunkelblond oder hellbraun, Jeans, Sweatshirt, kein schöner Mann auf den ersten Blick, dachte sie, aber ganz sicher auf den zweiten, bei einem Glas irgendetwas
abends in einem der Promenadencafés, wenn sich die zahlreichen Fältchen um seine Augen bewegten, wenn er von Sarajewo erzählte, und weshalb er in einem Ort leben wollte, in dem Krieg gewesen war.
Irgendwann vielleicht, wenn alles andere erledigt war.
»Zum ersten Mal in Osijek?«
»Ja.«
Ben Liebermann nickte. »Es lässt sich leben hier.«
»Sieht so aus.« Sie wandte sich der Sonne zu, flussaufwärts, hielt eine Hand über die Augen. »Wir sagen du, ja?«
»Klar. Exkollegen.« Seine Stimme war nicht zu laut, tief, angenehm fest.
Sie hörte, dass er sich eine Zigarette anzündete, roch den Rauch. »Und jetzt Komplizen.«
»Ja«, sagte Ben Liebermann.
Die Hand mit der Zigarette tauchte vor ihren Augen auf, zeigte nach links, nach rechts. »Slawonien, die Baranja. Früher eines der Hauptsiedlungsgebiete der Donauschwaben, wenn du durch die Dörfer der Baranja fährst, siehst du noch jede Menge deutsche Häuser. Viele sind verfallen, manche renoviert. 1991 sind die Serben in der Baranja einmarschiert, da drüben, am Waldrand, war die Frontlinie. Beim Rückzug haben sie die Gegend vermint, viele Minen sind bis heute nicht geräumt. Von dort haben sie Osijek beschossen, zehn Monate lang. Frag mich nicht, warum sie die Stadt nicht eingenommen haben. Es war kaum noch jemand hier, nur um die fünfundzwanzigtausend Menschen von hundertzwanzigtausend. Aber sie haben es wohl nicht ernsthaft versucht. Sie hatten Vukovar eingenommen, sie waren im Norden, Osten und Süden von Osijek, aber sie haben die Stadt nur beschossen und bombardiert, nicht eingenommen. Vielleicht, weil zu viele Truppen in Vukovar
gebunden waren ... Man sagt, Tuđman habe Vukovar geopfert, um Osijek zu retten.«
Sie nickte schweigend. Kriegsgeschichten, das schien dazuzugehören, wenn man mit Kroatien zu tun hatte.
Und Vukovar, immer wieder Vukovar.
Vielleicht auch nur die Passion eines Mannes, der von Kriegen besessen war?
Ben Liebermann sprach weiter. »Wenn du Osijek verstehen willst, musst du das wissen. Wenn du die Leute verstehen willst. Ein Freund von mir sagt, viele der Menschen Mitte dreißig sind traumatisiert. Schlucken Sedativa und was sonst noch. Ob es stimmt, weiß ich nicht.« Er lehnte sich neben sie an das Geländer. »Lončar war während des Jugoslawienkrieges hier stationiert.«
Über den Wiesen und Wäldern der Baranja jenseits der Drau lagen lange Schatten, die Spitzen der beiden Brückenpfeiler waren noch ins Licht der Sonne getaucht. Von einem Moment auf den anderen war es kühl geworden. Sie saßen in einem der Cafés an der Promenade, der Einfachheit halber das »Picasso«, hatte Ben Liebermann erklärt, weil ein paar Meter weiter eine Picasso-Statue stand. Antun Lončar war 1992 in Osijek gewesen, hatte einige Monate Belagerung miterlebt, war bei einem Granatenabwurf verletzt, ins Krankenhaus gebracht worden. Heimaturlaub in Poreč, dann waren er und seine Familie verschwunden.
»Nach Štrpci«, sagte Louise.
»Ja.«
»Er hat schon einmal in Osijek gelebt, von 1942 bis 1945 .«
»In der Europska Avenija 16 , nicht weit von hier.«
»Du bist gut informiert.«
»Intensive Vorbereitung. Eines meiner Hobbys.«
Sie lächelte. Fragte sich, ob er sich auch in Bezug auf sie intensiv vorbereitet hatte.
Irgendetwas, das ich wissen muss, Illi? Dunkle Flecken in ihrer Biographie?
Ben Liebermann zuckte schmunzelnd die Achseln.
Gut, das war geklärt.
Blieb zu klären, wie es möglich war, dass man sich offensichtlich bereits nach einer Stunde miteinander unterhalten konnte, ohne zu sprechen. Ein Lächeln, ein Schmunzeln, geklärt.
Ben Liebermann hatte sich das Haus in der Europska Avenija 16 angesehen. Eine Klinik, Wohnungen gab es nicht mehr. Falls Lončar sich dort aufhielt, musste er im Vorgarten
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