Im Auftrag der Väter
schlafen oder in einem der Krankenbetten.
Der Kellner kam, eine Tasse Cappuccino, eine Flasche Bier, Osječko, las sie mühsam.
Sie tranken, schwiegen.
Noch etwas musste geklärt werden.
»Warum hilfst du mir?«
Ben Liebermann zündete sich eine Zigarette an. »Was du vorhast, ist interessant. Verrückt und interessant. Ich wollte wissen, wie du bist. Wie eine Frau ist, die so was vorhat.«
»Und?«
Er sog den Rauch ein. »Interessant. Merkwürdig, ein bisschen traurig, sehr interessant.«
»Merkwürdig gefällt mir nicht.«
»Anders als andere. Ungewöhnlich.«
»Und traurig?«
»Na ja, ein bisschen. Nach allem, was passiert ist.«
Sie nickte lächelnd. »Und ich bin fixiert.«
»Verstehe.«
»Gut. Morgen Valpovo und Poreč, übermorgen Štrpci. Hast du Zeit?«
»Ich hab mir freigenommen.«
»Aber ich kann dich nicht bezahlen.«
Ben Liebermann winkte überrascht ab.
»Nur die Waffe. Die bezahle ich natürlich.«
»Ein Geschenk der Stadt Osijek an eine interessante Besucherin.«
»Ein Überbleibsel aus dem Krieg?«
Er nickte. Eine jugoslawische Pistole, Modell 57 , Lizenzversion der russischen 7 , 62 -Millimeter-Tokarew. Hatte wohl einem serbischen Soldaten gehört und war auf verschlungenen Wegen in die Hände eines Freundes geraten, in dessen Hände alles geriet, was nur auf verschlungenen Wegen transportiert werden konnte. Louise kannte sich mit Pistolen nicht aus, kannte ein paar Walther-Modelle, ein paar H&K-Modelle – und die Waffe, die Ben Liebermann beschrieben hatte. Modell 57 , Lizenzversion der russischen 7 , 62 -Millimeter-Tokarew, hergestellt seit 1957 in der Belgrader Zentrale von Zavodi Crvena Zastava. Im Sommer 2003 hatten sie gut einhundert Exemplare dieses Modells in einem illegalen Waffenlager nahe Kirchzarten gefunden.
Wiedersehen in Osijek.
»Das Leben ist schon seltsam«, sagte Ben Liebermann. »Was da so alles vom Breisgau nach Osijek kommt.«
Sie sahen sich einen Moment lang schweigend an.
»Du solltest lächeln, wenn du so was sagst.«
»Ja«, sagte Ben Liebermann und lächelte immer noch nicht.
Ein paar Minuten später stand sie auf, legte zwanzig Kuna auf den Tisch, sagte, Abendessen irgendwo, hast du Zeit?
Die Reisen planen, Dienstessen sozusagen.
Die Waffe, Ben. Ich brauche die Waffe.
Ben Liebermann sagte nichts, deutete nur auf eines der Restaurantschiffe im Seitenarm der Drau, »El Paso«.
»Halb neun«, sagte sie, und Ben Liebermann nickte und lächelte.
Das Lächeln gefiel ihr. Ein dunkles, melancholisches, sanftes Lächeln.
Ja, auf den zweiten Blick
sehr
attraktiv.
Osijek in der Dunkelheit kam ihr dunkler vor als alle anderen Städte, die sie kannte. Vielleicht, weil es so fremd war, weil ihr jedes Wort, das sie hörte oder sah, fremd war, genauso wie die Gesichter der Menschen, der Anblick der Häuser. Weil sie sich fremd fühlte. Anders als in Zagreb, wo sie das Fremdsein als angenehm empfunden hatte, war es hier bedrückend. Die Europska Avenija begann nicht weit von der Café-Promenade bei einem Kino mit hoch geschwungenem Giebel, dem »Urania«. Haus Nummer 16 war ein verfallender Prachtbau aus vielleicht österreichisch-ungarischer Zeit hinter einem schmiedeeisernen Zaun. Lange stand sie auf der anderen Straßenseite, ohne recht zu wissen, weshalb. Antun Lončar würde kaum auf einen Blick vorbeikommen bei einem Abendspaziergang an einem ungewöhnlich warmen Dezembertag. Wieder hatte sie das deutliche Gefühl, dass da irgendetwas nicht stimmte, wie Ende Oktober in Lahr bei Johannes Miller im Kanadaring, wo sie sich den alten Krieger, dessen Namen sie damals noch nicht gekannt hatte, einfach nicht hatte vorstellen können. Er hatte nicht in den Kanadaring gepasst, er passte nicht nach Osijek. Antun Lončar suchte keinen Frieden, suchte nicht die schönen Erinnerungen. Er suchte den Hass und den Schmerz.
Im Hotel rief sie Thomas Ilic an, beruhigte ihn, alles in Ordnung und mach dir keine Sorgen. Dann rief sie Richard Landen an und beruhigte ihn, alles in Ordnung, alles im Griff, ein paar Tage noch, vielleicht eine Woche, dann fahre ich heim. Sie duschte, schlief ein wenig, wartete im Traum auf Lončar, als er kam, wachte sie schweißgebadet auf.
Pizza in Osijek, natürlich, sagte Ben Liebermann und zuckte die Achseln. Halb Osijek ernährte sich abends von Pizza. Also Pizza, dachte sie, an die vermutlich exotischen slawonischen Gerichte traute sie sich noch nicht ran.
Sie saßen im »El Paso«, nahe der Theke und der offenen
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