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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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ahnst.
    »Fehlt nur die Kerze und ein Tässchen Tee, Louise.«
    »Tee mit Schuss, nehme ich an.«
    Er lachte lautlos. »Schuss mit Tee.«
    »Ich hatte auch mal ein paar Jahre Durst, weißt du. Keine gute Zeit.«
    »Ich dachte mir schon, dass du eine besondere Frau bist.« Er setzte sich auf. »Iss mit mir, Louise. Es ist lange her, dass ich mit einer besonderen Frau Kuchen gegessen habe.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Hab gerade Mittag gegessen.«
    »Na komm, Louise. Ein Stück Streuselkuchen. Verbrecher fangen ist anstrengend. Einen, der so läuft wie dein Mann.«
    »Unter einer Bedingung.«
    Er nickte. »Besondere Frauen haben Bedingungen.«
    »Kein Wort über die Deutschen aus Russland.«
    »Einverstanden. Kein Wort über die Scheißrussen.«
    Schon ein Wort zu viel, dachte sie. Aber sie blieb sitzen.
    Schweigend aßen sie, mit den Händen, auf dem Pflaster hockend, Emmas Streuselkuchen aus Engels irgendwo im Osten am Ende der Welt, ein Stück sie, drei Stücke Friedrich, dann faltete er die Alufolie sorgfältig zusammen, steckte sie in die Manteltasche, nahm den Tabak hervor, und sie stand auf und ging, all die Geschichten im Kopf, die Lahrer Geschichten eines halben Tages, Geschichten von Toten, Heimat, weiten Wegen und einer Begegnung vor siebzehn Jahren, doch als das Taxi neben ihr hielt, das sie zum Bahnhof bringen sollte, war da nur noch eine Geschichte in ihrem Kopf: Valpovo 1945 , vielleicht der Anfang.

9
    IN LAHR SONNE , in Freiburg Regen, irgendwo auf halber Strecke war die Wetterscheide gewesen. Aber der Nebel hatte sich aufgelöst, und der Blick aus ihrem Bürofenster reichte weit über die Stadt hinaus. Im Westen war es hell und blau. Sie dachte für einen Moment an die Provence, auch dort war es hell und blau. Und gelb natürlich. Blau die Lupinen und der Lavendel, gelb das Licht und das Haus ihrer Mutter.
    Im
Haus ihrer Mutter war es dunkel.
    Sie hatte bei den Niemanns angerufen, nur den Anrufbeantworter erwischt. Sie hatte bei Jenny Böhm angerufen, nur die Pfarramtssekretärin erwischt.
    Jenny Böhm war krank.
    Krank?
    Eine schwere Erkältung.
    Sie hatte hinfahren wollen, erst zu Jenny Böhm, dann zu den Niemanns, man konnte nie wissen. Aber zumindest bei den Niemanns war alles in Ordnung, wie Alfons Hoffmann wusste, den die Streifen auf dem Laufenden hielten. Und für Jenny Böhm war einfach keine Zeit gewesen, für siebzehn Uhr war die Besprechung der Ermittlungsgruppe angesetzt.
    Also war sie nirgendwohin gefahren. Hatte sich aufs Fensterbrett gesetzt, ihre Berichte zu Lahr ins Diktiergerät gesprochen, den Regen und den hellen blauen Westen vor
Augen und irgendwie auch die Provence und die weiten Wege der Deutschen aus dem Osten. Jetzt wartete sie, dass es Zeit wurde, hinaufzugehen zum Besprechungsraum, vom Rand ins Zentrum zurückzukehren. Wieder verspürte sie den Impuls, ins Auto zu steigen und loszufahren, diesmal in die Provence zu ihrer Mutter, mal Licht machen, Mama, in deinem dunklen Haus und meinem komischen Leben.
     
    »Kroatien«, sagte Alfons Hoffmann.
    »Schon wieder«, sagte Anne Wallmer.
    Illi, dachte Louise.
    »Illi«, sagte Bermann.
    Siebzehn Uhr dreißig, sie saßen im kleinen Besprechungsraum. Anne Wallmer und Mats Benedikt hatten von Merzhausen und ihrem Gespräch mit Henriette, Philip und Carola Niemann berichtet – nichts Wesentliches, abgesehen davon, dass Paul Niemann tatsächlich nach Lahr gefahren war. Louise hatte von Lahr berichtet – Friedrich, der ihren Mann gesehen hatte, die Deutschen aus Russland, Johannes Miller, der verschwunden war, vermutlich aber nichts mit den Niemanns zu tun hatte, Valpovo 1945 . Alfons Hoffmann hatte aus dem Internet Material zu Valpovo und den Jugoslawiendeutschen zusammengetragen und fotokopiert, beeindruckende Stapel Papier, doch es ging ja auch um weite Wege.
    »Brauchen wir ihn? Illi?«, fragte Rolf Bermann.
    »Er ist krankgeschrieben«, sagte Louise.
    Bermann fuhr sich seufzend mit der Hand über die Augen. »Ihr könntet ihn besuchen. Einen Krankenbesuch machen, oder?«
    »Wir lassen ihn in Ruhe.«
    »Er würde sich freuen. Die Kollegen besuchen ihn. Reden mit ihm über die Heimat. Gibt’s was Schöneres?«
    Louise lächelte. »Von den Kollegen in Ruhe gelassen zu werden.«
    Für einen Moment herrschte Schweigen. Bermann grinste gefährlich. Louise hatte gehört, dass er am Vormittag bei Bob gewesen war, zwei Stunden lang Rede und Antwort hatte stehen müssen. Die Art, wie Bermann das Dezernat führe, munkelte man in den

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