Im Auftrag der Väter
Deutschen aus Jugoslawien und über Valpovo informieren, Alfons Hoffmann war schon dabei, Termine auszumachen. Außerdem mussten sie herausfinden, ob es in Lahr auch Jugoslawiendeutsche gab – ihr Mann war nun einmal in Lahr gesehen worden. Und sie mussten aus naheliegenden Gründen noch einmal mit Paul Niemann sprechen. Er hatte sie auf die russlanddeutsche Spur geschickt – der Akzent, seine Kontakte zu Russlanddeutschen im Bürgerservice. Das alles hatte irgendwie ganz gut zusammengepasst. Jetzt, mit Valpovo und Jugoslawien, passte nichts mehr zusammen. Damit mussten sie ihn konfrontieren. Und sie mussten ihm, der Form halber, das Foto von Johannes Miller zeigen.
Sie erhoben sich, nahmen sich ihre Stapel Kopien. Im Flur fragte Alfons Hoffmann: »Sagt mal, der wievielte Tag ist heute?«
Louise brauchte einen Moment, um zu begreifen. »Kommt darauf an. Der dritte, wenn er ab Sonntag zählt. Der vierte, wenn er ab Samstag zählt.«
Sie standen im Kreis, dicht aneinander, selbst Bermann ging noch nicht. Fragen hingen unausgesprochen im Raum. Fragen wie die von vorhin: Sonst? Was würde am siebten Tag geschehen? Andere Fragen.
Alfons Hoffmann sagte: »Weil ich mich gefragt hab, wie ich reagieren würde nach dem, was gestern passiert ist. Ich meine, würde ich wirklich bis zum siebten Tag warten? Oder würde ich sofort reagieren?«
»Und?«, sagte Louise.
»Also,
ich
würde sofort reagieren.«
Anne Wallmer nickte. »Ich auch.«
»Ich nicht«, sagte Bermann. »Ich habe einen Plan. Den ziehe ich durch. Am siebten Tag komme ich wieder. Ihr versteht, der biblische siebte Tag. Ich zitiere Psalmen, ich komme am siebten Tag.«
Louise sah ihn an. Für einen merkwürdigen Moment war ihr nach Lachen zumute. Ich habe einen Plan, ich zitiere Psalmen, ich komme am siebten Tag. Sie hatte Bermann noch nie so reden gehört. In die Rolle des Täters zu schlüpfen war nicht seine Art. Die Distanz aufzugeben. Bermann arbeitete aus der größtmöglichen Distanz zum Täter. Er brauchte die Gewissheit, dass sie nichts gemeinsam hatten.
Zermürbten ihn die Scharmützel mit Bob?
Er hob die Brauen. Was ist?, sagte seine Miene.
Sie wandte sich Mats Benedikt zu. »Und du?«
Mats Benedikt zuckte schweigend die Achseln. »Und du?«
»Tja. Keine Ahnung.«
»Ich glaube, ich würde heute Nacht reagieren«, sagte Alfons Hoffmann.
Louise sah ihn an. »Andererseits tut er immer das, was wir
nicht
erwarten.«
Alfons Hoffmann nickte.
»Was bedeutet, dass wir erwarten, dass er
nicht
sofort reagiert.«
»Auch wieder richtig.«
»Es wäre also logisch, wenn er heute Nacht reagieren würde. Und es wäre genauso logisch, wenn er erst am siebten Tag reagieren würde.«
Niemand sagte etwas. Louise sah auf die Uhr. Kurz nach sechs.
»Du fährst noch raus«, sagte Anne Wallmer.
»Ja.«
Anne Wallmer schmunzelte.
Ganz recht, Anne, so bin ich. Kein Feierabend, kein Privatleben. Kein Anfang und kein Ende.
Plötzlich war der Ärger wieder da. Der Ärger vom Vormittag, den Sophie Iwanowa ausgelöst hatte. Und mit dem Ärger all die Fragen, was wollen Sie sein, wo wollen Sie dazugehören, wieso haben Sie kein Privatleben, keinen Feierabend, keine Kinder, keinen Mann, wo gehören Sie eigentlich hin, alle diese dummen, dummen Fragen, die sie doch eigentlich für sich beantwortet hatte, oder etwa nicht?
In welche Wand soll die Tür?
Feinstaub
in der
Wohnung
?
Sie gestikulierte. »Herrgott, ich hab Feinstaub in der Wohnung.«
»Hattest du heute Morgen erwähnt«, sagte Alfons Hoffmann freundlich.
»Ich mag nicht den ganzen Abend im
Feinstaub
rumsitzen.«
»Klar«, sagte Anne Wallmer. Louise spürte, dass es nicht sarkastisch gemeint war. Es war irgendwie nett gemeint. Es war ein Friedensangebot. Anne Wallmer hatte noch immer schlechte Laune, doch sie machte Friedensangebote.
»Du solltest da eigentlich auch nicht mehr schlafen«, sagte Alfons Hoffmann. »Ist sicher nicht gesund.«
Bermann meinte, sie könne doch in der Akademie schlafen, die hätten da kleine, einfache Zimmer. Er habe die Zimmer gelegentlich genutzt. Er grinste. Sie musste lächeln, aber nicht wegen Bermann und der Blondinen, die ihn mittlerweile so teuer zu stehen gekommen waren, sondern weil sie an Arndt Schneider dachte. Die Akademie der Polizei, die frühere Landespolizeischule, da hatte sie Arndt Schneider kennengelernt. Was das wohl bedeuten mochte, dachte sie, am Tag, an dem sie einen ihrer »Bergfest«-Jungspunde wiedergetroffen hatte, in der Akademie um
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