Im Auftrag der Väter
ehrlich gesagt stimmte da so einiges nicht.
Waldemar schwieg, wandte ihr nur das faltige, weiße Gesicht zu. Sie glaubte zu wissen, was er dachte: Wenn nicht Sie den suchen, dann wird ihn jemand anders suchen. Das
Leben hat ihm nichts Gutes gewollt, jetzt hat es ihm was Böses gebracht.
Sie tätschelte seinen Arm und zog die Hand zurück.
Fragte nach dem Sliwowitz.
Sliwowitz? Waldemar zuckte die Achseln. Hier in der Wohnung nur Bier, ein Glas mittags, eines abends und ein, zwei Gläschen Wodka. Draußen, das wusste er nicht. Aber warum sollte der Johannes Miller was trinken, das weder aus Deutschland noch aus Russland kam?
Sie lächelte überrascht. Was schwierig war, ließ sich einfach machen.
Sie fragte nach Wapolwo.
Wapolwo? Waldemar zuckte die Achseln. Hieß das so? Hieß das nicht Valpovo?
»Valpovo?«
Waldemar nickte. Valpovo, ein Ort irgendwo in Jugoslawien, aber das gab es ja auch nicht mehr, Jugoslawien.
»In Jugoslawien?«
»No.«
»Wissen Sie, wo, Herr Kaufmann?«
»So. Also. Nein, das weiß ich nicht.« Nicht an der Küste jedenfalls. Seine Töchter hatten in Istrien Urlaub gemacht, da lag es nicht. Vielleicht existierte es auch schon nicht mehr. »Die wo erzählt haben von Valpovo, das waren Deitsche aus Jugoslawien. Die haben gesagt, da war ein Lager für die Deitschen, und viele, die wo da sind kommen rein, die sind gestorben vor Hunger und vor Erschöpfung und vor Kälte. Wie die unsrigen in Sibirien, nicht?«
»Ein Lager für die Deutschen aus Jugoslawien?«
»No.«
»Helfen Sie mir, Herr Kaufmann – wer waren diese Deutschen?«
»Die Deitschen, die wo vor zweihundert Jahren oder so da hingangen sind.«
»Nach Jugoslawien.«
»No, und des waren viele, hunderttausend waren des schon. Mir sind ja damals überall hingangen in den Osten, es gab ja nicht genug Ackerland hier, und die Steuern waren hoch, und dauernd war a Krieg, und da hieß es vom Kaiser und der Kaiserin, kommt in den Osten, da kriegt jeder sei Land und sei Arbeit, da habt’s es gut. Und da sind mir gangen.«
»Welcher Kaiser? Welche Kaiserin?«
»Na, die Habsburger, denen wo halb Europa hat gehört damals, und in Russland war’s die Katharina II ., die wo ja auch a Deitsche war.«
»Prinzessin Sophie«, sagte Sophie Iwanowa aus der Küche.
»No«, sagte Waldemar und nickte.
Hunderttausende Deutsche, die vor Jahrhunderten in den Osten gegangen waren, nach Russland, nach Jugoslawien, überall, geholt von den Habsburgern. Von denen in Russland hatte Louise gewusst, natürlich, von denen in Jugoslawien nicht. Oder doch? Begriffe kamen ihr in den Sinn, die sie im Lauf der Jahre gehört oder gelesen hatte, ohne sie genauer zuordnen zu können. Sathmarer Schwaben, Banater Schwaben, Schwäbische Türkei. War das Jugoslawien? Siebenbürgen, aber das war Rumänien. Sie nahm Block und Stift aus der Tasche, schrieb die Begriffe auf. Die weiten Wege, da konnte man schon durcheinanderkommen.
»Noch mal zu Valpovo.«
»No.«
»Wer hat das Lager errichtet?«
»Die Kommunisten.«
»Was für Kommunisten, Herr Kaufmann?«
Waldemar runzelte die Stirn. In seinem Blick lag höfliches Erstaunen. In der Küche herrschte Stille, Emma und Sophie Iwanowa musterten sie. Sie hob die Brauen. Keiner kann alles wissen, Leute.
»Was für Kommunisten?«
»Na, die Partisanen vom Tito«, sagte Waldemar.
Sie nickte. Tito, den kannte sie. 1980 gestorben, das wusste sie. Thomas Ilic hatte es erwähnt, vor eineinhalb Jahren auf dem Weg nach Offenburg. Thomas Ilic, Halbkroate, Lieblingskollege, seit eineinhalb Jahren krankgeschrieben, weil er auf einer Lichtung im Wald bei Heuweiler nicht die Augen geschlossen hatte wie sie. Mitansehen zu müssen, wie ein Mensch ermordet wurde, veränderte alles. Egal, ob man Polizist war oder nicht. Das hätte er wissen müssen.
Er hätte in jener Nacht keine Minute länger arbeiten dürfen. Das hätte
sie
wissen müssen.
Aber sie hatte ihn mitgenommen, zum Rappeneck, wo der falsche Marcel seine Jagd beendet hatte. Jetzt war Thomas Ilic krankgeschrieben und wurde von Trauma-Spezialisten behandelt, und ob er je zurückkehren würde, konnten nicht einmal die Spezialisten sagen.
Sie klopfte sich mit dem Stift gegen die Stirn. Jetzt nicht an Illi denken.
»Wissen Sie, wann das Lager errichtet wurde? Das Lager von Valpovo?«
»Nein, das haben sie nicht gesagt, die wo davon erzählt haben.«
»Hat es 1945 existiert?«
»Ja, sicher, fünfundvierzig gab’s des bestimmt schon, der Tito hat die Deitschen ja
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