Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
Vom Netzwerk:
Feinstaubasyl nachzusuchen ...
    Nun, vor allem eines: Dass sie niemanden hatte, bei dem sie für ein paar Nächte einfach mal eben so unterkriechen konnte. Richard Landen war in Japan, Marcel hätte am nächsten Morgen Ringe gekauft. Sonst gab es niemanden.
    »Du kannst bei mir schlafen«, sagte Anne Wallmer. »Ich hab ein Gästezimmer.« Alfons Hoffmann sagte, sie hätten auch ein Gästezimmer. Mats Benedikt sagte, sie hätten den Speicher ausgebaut. Bermann sagte, Alex sei im Schullandheim, sie könne sein Bett haben. Louise bedankte sich und sagte, sie sollten sich aber nicht beklagen, falls sie auf die Angebote zurückkomme. Bermann sagte: »Hauptsache, du pinkelst nicht im Stehen.«
    Sie lachten.
    Dann gingen sie auseinander. Anne Wallmer begleitete Louise zur Treppe. »Wär doch nett, Louise. Wir könnten mal ... reden.«
    Louise nickte. Sie spürte Anne Wallmers Blick auf sich, während sie die Treppe hinunterging, und sah auf. Ein merkwürdig entblößter Blick, fand sie. Ich muss reden, Louise, sagte der Blick.
    »Du weißt, was ich mitbringen würde.« Sie lächelte.
    Anne Wallmer schüttelte den Kopf.
    »Arbeit.«
     
    Die Eltern waren fort, die Tochter führte sie ins Haus, Carola. Im Wohnzimmer saßen drei Jungs, Schulfreunde, reichten ihr cool und zufrieden die Hand. »Wir passen auf«, sagte ein großer, zappeliger Schlaks und nickte gegen die Dunkelheit jenseits des Wohnzimmerfensters.
    Carola verdrehte die Augen.
    Draußen waren noch mehr. Im Garten, am Zaun. Passten auf, falls der wiederkam.
    »Himmel«, sagte Louise. Sie sah große, zappelige Schlakse unter Büschen, im Gras, auf dem Acker liegen und auf den alten Krieger warten. »Passt um Himmels willen auf
euch
auf.«
    Sie ging mit Carola nach oben.
    »Sonst wären sie nicht gefahren«, sagte Carola. »Sie wollten uns nicht allein lassen.«
    »Wohin gefahren?«
    »Zum Arzt.«
    »Was ist passiert?«
    Carola zuckte die Achseln. Sie standen vor einer geschlossenen Tür. Carola tat und sagte nichts, stand nur da, starrte auf die Tür.
    Louise berührte ihre Schulter mit der Hand. »Carola.«
    »Alles geht kaputt, wissen Sie.«
    »Haben sie gestritten?«
    »Nicht gestritten. Nur geredet. Geweint. Papa hat geweint.«
    Carola klopfte, Philip antwortete. Sie traten ein. Ein großes, fast dunkles Zimmer, ein paar Kerzen. Chormusik wie
die im Auto von Paul Niemann, vielleicht sogar dieselbe. Ein Computermonitor, heruntergefahren in den Bildschirmschoner, weiße Vögel flogen durch die Dunkelheit. Philip saß auf dem Boden, ein Buch auf dem Schoß, in dem er kaum gelesen haben konnte. Jetzt stand er auf, sah hilfesuchend seine Schwester an. Ein Fünfzehnjähriger und diese Musik ... Die Dunkelheit.
    Was geschah mit diesen Menschen?
    »Sie will dir ein Foto zeigen.«
    »Ein Foto?«
    Louise gab ihm die Hand. So vieles erinnerte an den Vater, auch die Hand. Kalt, klein, kraftlos, eine Hand, die Ungeduld in ihr auslöste und zugleich das Bedürfnis, diesen dürren, verunsicherten, orientierungslosen Jungen zu beschützen. Ihm irgendwie die Kraft nachzureichen, die ihm die Natur verwehrt hatte.
    »Brahms, was?«, sagte sie. »Das Requiem.«
    Kopfschütteln. »Das Requiem von Mozart.«
    »So, hat der auch ein Requiem komponiert.«
    Nicken. »Mhm.«
    »Mach’s mal für einen Moment aus, ja? Sonst fange ich an zu heulen.« Carola lächelte, Philip starrte. Während er die Musik ausschaltete, fragte Louise, zu was für einem Arzt ihre Eltern gefahren seien. Carola schüttelte den Kopf und hob das Kinn in Richtung Philip. Nicht hier, bitte. Louise nickte.
    Sie zeigte Philip das Foto von Johannes Miller.
    »Nein«, sagte er sehr leise.
    »Sicher?«
    »Mhm.«
    Sekundenlang sprach niemand. Philips Blick lag auf ihr, doch seine Augen waren in der Dunkelheit nicht zu erkennen. Sie glaubte, seine Angst zu spüren, Angst vor dem, was
der Mann tun würde, Angst vor dem, was die Eltern tun würden. Sie hätte gern etwas Aufmunterndes gesagt, doch was sagte man einem Fünfzehnjährigen, der mitansehen musste, wie seine Familie zerfiel?
    Sie zog ihre Visitenkarte aus der Hosentasche, reichte sie ihm. »Wenn irgendwas ist. Egal was.«
    Er nickte.
    Sie gingen zur Tür. »Mach dir doch Licht beim Lesen«, sagte Carola.
    Im Flur deutete sie nach oben, und sie stiegen die Treppe hinauf ins Fernsehzimmer. Auch hier war der Mann gewesen, er war herumgegangen, hatte sich auf das Sofa gesetzt, hatte wer weiß was geplant und gedacht.
    Mein Haus, das ist mein Haus. Und sie wussten

Weitere Kostenlose Bücher