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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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nichts passiert, er lebt.
     
    Sie standen um die beiden Kinder herum, die sich wortlos in den Armen hielten, in der Dunkelheit im Dreck hockend. Eine Mauer aus Erwachsenen, als wollten sie sie beschützen.
    Als könnten sie sie beschützen.
    Louise hatte Helm Brager telefonisch informiert. Alles in Ordnung, er lebt, ist nur ein bisschen verwirrt, abgesehen von allem anderen. Sie fragte sich, was das sein mochte, dieses »alles andere«. Ob Philip auch deshalb hierhergekommen war, weil er den Mann gesucht hatte.
    Erst der Vater, dann der Sohn.
    »Kollegin«, sagte einer der Beamten, der sich ein paar
Meter entfernt hatte. Seine Taschenlampe zeigte nach unten. Sie ging zu ihm. In dem Kreis aus Licht waren Schuheindruckspuren zu erkennen. Er ließ den Kreis aus Licht langsam Richtung Philip wandern. Die Spuren endeten etwa zwei Meter vor ihm.
    »Zeig mir seine Schuhe«, sagte Louise.
    Das Licht streifte über Philips Füße. Er war barfuß.
    Sie schüttelte den Kopf. Der alte Krieger war hier gewesen. Hatte hier gestanden, kaum zwei Meter hinter Philip. Die Frage war nur: wann? Als Philip schon hier gelegen hatte?
    Wieder fröstelte sie. »Wir brauchen einen Abdruck.«
    »Ich kümmere mich darum.«
    Sie kehrte zu den Kindern zurück, kniete sich vor sie. In der Dunkelheit waren ihre Gesichter nur zu erahnen. »Philip?«
    »Mhm?«
    »Hast du ihn hier oben gesehen? Den Mann?«
    Eine vage Bewegung. Kopfschütteln? »Nein?«
    »Nein.«
    Sie strich mit der Hand über seine Schulter, erhob sich. Er war hier gewesen, hatte hier gestanden. Er hatte sein Haus mit Benzin getränkt, die Niemanns geweckt, dann war er den Hang hochgestiegen, vielleicht, um zuzusehen, wie das Haus niederbrannte, vielleicht auch nur, um über die Äcker, die Felder, durch die Wälder zu verschwinden.
    War es das gewesen? Das »Sonst«? Verschwindet innerhalb von sieben Tagen, sonst brenne ich das Haus nieder?
    Euer Haus, mein Haus.
    War es nun vorbei? Würde er dorthin zurückkehren, wo er hingehörte? Falls es einen solchen Ort gab. Oder würde er wiederkommen?
    Sie blickte zum Schönberg hinauf. Der Mond stand hinter Wolken, der Hügel lag im Schwarz verborgen. Sie dachte an Helm Brager und den Gedanken mit den Schmerzen. Vielleicht könnten sie die Fragen beantworten, wenn sie wüssten, welche Schmerzen sich in den Taten des alten Kriegers widerspiegelten.
    Valpovo 1945 . Die Deutschen aus Jugoslawien.
    Sie hatten ein paar Hinweise. Sie würden ihnen nachgehen. Vielleicht würden sie sie zu den Schmerzen führen.
    Sie atmete tief ein, trat zurück, wieder in die Mauer aus Erwachsenen hinein.
    Als wollten sie die Kinder beschützen.
    Als könnten sie sie beschützen.

II
    Der Tanz der sterbenden Väter
    11
    UND WIEDER EIN TRAUM von einem Haus, irgendwann zwischen sechs und sieben Uhr morgens, wieder bewegte sich das Haus, und als die Mauern aufplatzten, sah sie statt des Tageslichts Flammen.
    Stimmen weckten sie. Jemand klopfte ans Fenster, lachte. Das Zimmer roch nach verbranntem Holz.
Sie
roch nach verbranntem Holz.
    Sie duschte, aber der Geruch blieb.
    Beim Frühstücken im Stehen kam es ihr so vor, als hätte sich mit dem Geruch auch das, was in Merzhausen geschehen war, auf ihre Haut gelegt. Als wäre der Geruch das, was mit den Niemanns geschehen war und noch geschehen würde.
    Jägermeistergedanken ohne Jägermeister.
    Draußen, auf dem Metallsteg, standen die Oberschlesier und wollten reden. Sie dachte an die Risse in der Wand, dass es so nicht weitergehen konnte, da wohnten doch noch Leute im Haus. Aber dann schüttelte sie nur den Kopf, das war jetzt nicht mehr wichtig, Risse in der Wand, solange es Wände gab.
    Im Hof war plötzlich ein großer, hagerer Mann an ihrer Seite. Auch er wollte reden, über eine Ersatzwohnung in St. Georgen und die garantierte Rückkehr im Frühling bei erhöhter Miete, das Ganze mit leichtem bayerischen Einschlag, schroffem Ton, begleitet von Gesten breiter, aggressiver
Hände. Er hatte halblange, gewellte Haare und sprach Juristenbayerisch, und wenn sie an Bauarbeitern vorbeikamen, verstummten alle Gespräche.
    Der Bayer, sie hatte von ihm gehört.
    »Aber es liegt natürlich an Ihnen«, sagte er.
    »Richtig«, sagte Louise.
    »So zu leben ist doch nicht mehr schön, Frau Bonì.«
    »Richtig.«
    »Und jetzt muss auch noch die Wand zur Straße mit Stahlträgern stabilisiert werden.«
    »Muss sie?«
    »Na, Sie sind gut, wie soll es ohne Stahlträger gehen?«
    Sie waren auf dem Gehweg angelangt. Louise sagte

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