Im Auftrag der Väter
auf der Treppe gehört, hatten begriffen. Sie waren zu den Kindern gelaufen, mit ihnen die Treppe hinuntergerannt.
Da hatte es im Keller bereits gebrannt.
»Er wollte, dass sie rauskommen«, sagte Louise. »Er wollte das Haus niederbrennen, aber er wollte nicht, dass ihnen was passiert.«
Helm Brager schwieg. Seine Augen lagen noch auf ihr. Sie schienen jetzt größer und heller zu sein als vorhin, und Louise fragte sich, ob der Schmerz gekommen war.
Sie berührte seinen Arm. »Alles okay?«
Die Augen bewegten sich nicht.
»Brager?«
»Ja, ja«, knurrte Helm Brager. »Nimm dir ein paar Leute und such den Jungen, ja?«
Sie sah seine Augen in Gedanken vor sich, während sie zu Carola zurücklief, große, helle Augen, in denen sich Schmerzen widerspiegelten, deren Ursache sie nicht kannte, und sie dachte, dass sich in den Taten des alten Kriegers vielleicht auch Schmerzen widerspiegelten, deren Ursache sie nicht kannte. Dass manchmal in den Schmerzen der Menschen die Antwort auf alle Fragen lag.
Dann stand Henriette Niemann plötzlich vor ihr und fiel ihr wie Carola um den Hals und begann noch in ihren Armen zu reden, sie würden bei der Schwägerin unterkommen, die hatte ja noch das Haus in Au und war schon auf dem Weg hierher, um sie zu holen, in Au würden sie unterkommen, bis ein neues Haus gefunden war, für die Kinder war das kaum weiter zur Schule als bisher, für den Paul nicht, für sie nicht, es ist ja kaum weiter in die Stadt als bisher, sagte sie und löste sich von Louise und brach in Tränen aus.
Mit sechs Kollegen des Reviers Freiburg-Süd und Carola, die unbedingt mitwollte, brach sie auf. Sie liefen die Straße hoch, in der Carola die Gestalt gesehen hatte, tauchten in die Dunkelheit am Fuß des Schönbergs ein. Die Straße wurde schmaler, beschrieb eine Kurve, links steile Gärten, zwischen denen Treppenwege in den Ort hinunterführten, rechts ein Weinhang. In Serpentinen schlängelte sie sich wohl zum Jesuitenschloss hinauf, das
irgendwo in der Finsternis über ihnen lag. Sie schalteten die Taschenlampen ein. Louise hielt Carola dicht bei sich, die Kollegen hatten die Hand am Waffenhalfter, man wusste ja nie. Viele Brandstifter wollten zusehen, während niederbrannte, was sie angezündet hatten, vielleicht auch dieser, vielleicht stand er irgendwo hier oben in der Dunkelheit und blickte hinab auf die Flammen und das Haus, das nicht mehr existierte. Fröstelnd schloss Louise die Jeansjacke. Die Nacht war kalt und schwarz. Ein kleiner Ausschnitt der Dunkelheit am Fuß des Hügels war hell erleuchtet, eine schwärende Wunde am Rand von Merzhausen, Flammen, Scheinwerfer, Blaulichter. Die Männer der Feuerwehr schienen den Brand jetzt unter Kontrolle zu bekommen, die Flammen waren deutlich niedriger als vor ein paar Minuten. Daneben, wo das Haus der Niemanns gestanden hatte, ein quadratischer Flecken aus Schwärze und Glutresten, die manchmal im Wind aufglommen.
»Ich kann nicht hinsehen«, flüsterte Carola.
»Ich weiß.«
»Ist es ganz weg? Ist alles weg?«
Louise nickte.
»Alles weg«, sagte Carola.
Louise legte den Arm um ihre Schulter. Sie dachte, dass sie etwas sagen sollte, aber ihr fiel nichts ein außer: Es tut mir so leid, ich hätte es wissen müssen, ich hätte aufpassen müssen, ich hätte mehr tun müssen, ich wusste doch, dass etwas geschehen würde.
Morgen würde sie es sagen. Jetzt war nicht der richtige Moment dafür.
Sie spürte, dass Carola lautlos weinte, aber sie spürte auch eine merkwürdige, durch nichts zu erschütternde
Kraft in dem schmalen Körper, und obwohl sie wusste, dass es nicht richtig war, zog sie Carola noch dichter an sich, um dieser Kraft näher zu sein.
Sie fanden Philip eher zufällig, als der Lichtstrahl einer Taschenlampe über einen Acker unterhalb der Straße glitt. Er lag zusammengerollt da, das Gesicht hangabwärts gewandt. Carola rief seinen Namen, begann zu weinen, als er nicht antwortete. Sie wollte loslaufen, doch Louise hielt sie fest, schickte drei der Kollegen, beobachtete erstarrt, wie sie sich Philip näherten. Eisige Schauer liefen ihr über den Rücken, plötzlich hatte sie Niksch vor Augen, den jungen Liebauer Polizisten aus dem Winter 2003 , den hatte sie auch gesucht in der Dunkelheit, der hatte auch im Schmutz gelegen, ein paar Tage später hatte man ihn begraben.
Dann waren die Kollegen bei Philip, riefen etwas herauf, und sie wiederholte es stumm, ohne den Sinn der Wörter gleich zu begreifen: Alles in Ordnung,
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