Im Auftrag der Väter
wird er sich Sorgen machen.«
»Er führt Tagebuch. Ein Fehlertagebuch.
Meine
Fehler. Vierter Oktober, acht Uhr, J. hat Fahne. Vierter Oktober, sechzehn Uhr, J. sitzt auf dem Sofa und kann nicht aufstehen. So ein Tagebuch. Ich habe es gesehen, sein Scheißtagebuch.«
»Für die Therapie?«
»Für seinen Anwalt.«
Sie schwiegen. Tränen liefen über Jenny Böhms Wangen, Louise sah und hörte sie schlucken. Der Mann, der Veränderungen bedrohlich fand, bereitete die Scheidung vor.
»Zeig sie mir«, flüsterte Jenny Böhm plötzlich.
Louise erstarrte.
»Ist sie da, in der Tasche?«
»Du kannst mich mal.«
»Ich möchte sie nur sehen. Nicht anfassen.«
Louise zog die Tasche zu sich, griff hinein, nahm das Magazin aus der Heckler & Koch, ohne sie herauszuholen, schob es in die Hosentasche. »Noch ein Wort, Jenny, und du schläfst heute Nacht auf der Straße.«
»So streng und selbstgerecht, Louise ...«
»Schau dich an, Jenny, und dann wirf mir vor, dass ich streng und selbstgerecht bin.«
Jenny Böhm erwiderte nichts, nickte nur mechanisch. Dann senkte sie den Blick, spreizte die zitternden Finger, starrte darauf, als würden die Finger bestätigen, was Louise gemeint hatte.
»Tut mir leid, Jenny. Ich ... Sieh mich an. Sieh mich an, Jenny.«
Jenny Böhm sah auf. Die Tränen strömten, ihr Mund stand offen.
»Es tut mir leid, okay?«
Wieder nur das mechanische Nicken, kein Wort, dann hob Jenny Böhm die zitternden Hände, presste sie sich auf die Wangen.
»Ich bin erschrocken, verdammt«, sagte Louise. »Ein paar Sekunden, und ich hätte ...«
Jenny Böhm ließ sich zu Boden gleiten, begann zu lachen und zu weinen, rief: »Hättest du es nur getan, verflucht!«
Als Jenny Böhm keine Kraft mehr hatte zum Lachen und zum Weinen, führte Louise sie ins Bad, zog sie aus, schob sie in die Dusche. Jenny Böhm kauerte sich auf den Wannenboden,
ein kleines, zitterndes Häufchen Elend, wartete schicksalsergeben. Das Schicksal kam in Form von eiskaltem Wasser, so viel und so stark, wie es die alten Leitungen zuließen.
Jenny Böhm schrie.
Zwei, drei Minuten, dann hatte Louise Erbarmen und drehte den Hahn zu. Sie nahm ein Handtuch, sagte: »Komm.«
Jenny Böhm reagierte nicht. Schlotternd saß sie da, die Haare klebten an ihrem Körper, Schluchzer schüttelten sie.
»Na komm, Jenny.«
Jenny Böhm schlug die Hände vors Gesicht. Sie sagte etwas hinter den Händen, aber es war nicht zu verstehen. Sie hörte nicht auf zu reden und zu schluchzen, sprach und schluchzte gleichzeitig, ein Wort so unverständlich wie das andere, doch die Hände blieben, wo sie waren, als wollte sie die Wörter aussprechen und mit den Händen gleich wieder zerstören. Louise zwängte sich neben sie in die Dusche, legte ihr das Handtuch um die Schultern, drückte sie an sich. Als die Wörter und Schluchzer schließlich nachließen, sagte sie: »Ich hab’s nicht verstanden, Jenny.«
Die Hände öffneten sich einen Spalt. »Ich war dort.«
»Wo?«
»Beim Treffen gestern.«
Louise nickte. Am Montag einmal dran gedacht und gleich wieder vergessen.
»Ich dachte, du kommst. Du hast gesagt, du kommst.«
»Ich weiß.«
»Aber du bist nicht gekommen.«
»Ich hab’s vergessen. Ich hab viel zu tun im Moment, Jenny, da hab ich’s einfach vergessen.« Dass sie ohnehin nicht gegangen wäre, sagte sie nicht.
Jenny Böhm drehte den Kopf, sah sie an, Tränen, Rotz, Wasser im Gesicht, in den Augen dumpfe Verzweiflung.
Louise wischte das Gesicht mit einem Handtuchzipfel sauber. »Es tut mir leid, okay?«
»Dieser Mann mit dem Psalm?«
Louise nickte. Der Mann mit dem Psalm, der am Montag, als sie Jenny Böhm von ihm erzählt hatte, nur ein Einbrecher gewesen und wenig später zum Brandstifter geworden war.
Der nun einen Namen und eine Geschichte hatte.
»Ist er wiedergekommen?«
»Ja.«
»Und hat was Schlimmeres getan?«
»Er hat ein Haus niedergebrannt.«
»Ein Haus niedergebrannt!«
»Ja. Komm, steh auf, Jenny.«
Sie half Jenny Böhm hoch, begann sie abzutrocknen. Mutter und Kind im Bad, dachte sie, dicht beieinander, mit einer Hand hielt sie das Handtuch um die schmalen Schultern, mit der anderen strich sie sanft über Jenny Böhms Rücken.
»Ich wollte wegen dem Psalm nachfragen, aber es ging nicht.« Jenny Böhm ließ sich gegen sie sinken, legte den Kopf an ihren Arm.
»Ja. Macht nichts.«
»Ich will damit nichts mehr zu tun haben.«
»Mit der Bibel?«
»Mit der Kirche.«
»Kann ich verstehen.«
»Ich wollte
Weitere Kostenlose Bücher