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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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lösen würde. Es passte nicht zur Gegenwart, nicht zu ihrem körperlichen und seelischen Status quo, mit denen sie überwiegend zufrieden war. Sie hatte ein gelöstes Problem, keines, das sich festgefahren hatte, und sie hatte freundlichere Begriffe verdient als diesen.
    So leitete sie in dieser Phase des Wörtertestens ihre Geschichte gewöhnlich mit den Wörtern
Ich trinke nicht, ich war mal abhängig, aber das ist jetzt vorbei
ein.
    »Uff«, hatte Heidelinde Zach noch auf der Straße gesagt, und für einen Moment waren die Blumen und der Wald in vollkommener Reglosigkeit erstarrt.
    Sekundenlang hatten sie dagestanden, auf halbem Weg zwischen Auto und Italiener, dann hatte Louise hinzugefügt: »Möchte ich mal sagen.«
    »Möchte ich mal sagen!«, hatte Heidelinde Zach wiederholt und zu lachen begonnen, und bis sie schließlich gesessen hatten, hatte sie schon die halbe Geschichte gekannt.
     
    Gegen zehn brach Louise auf, verließ die große, dunkle Stadt München, die gar nicht so anders zu sein schien als die kleinere, ferne Stadt Freiburg, zumindest auf den ersten Blick, in den ersten Stunden. Auf dem Beifahrersitz lagen Kopien der Akten der Familie Lončar, obenauf der Personenbogen mit dem Foto, das Paul Niemann vielleicht nicht angesehen hatte, wie er vielleicht all die anderen Fotos jener Menschen nicht angesehen hatte, die er in ihre zerstörte Heimat hatte zurückschicken müssen. Bis Augsburg gelang es ihr, die Fragen zu verdrängen und sich die Sonne in der Nacht zu bewahren, dann verblasste Heidelinde Zachs lächelndes Gesicht, die wohlige Erinnerung an ein schönes und vertrautes Gespräch von Frau zu Frau, und die Fragen brachen sich Bahn, allen voran eine, die ihr von Kilometer zu Kilometer wichtiger zu werden schien:
    Wo waren Biljana und Snježana Lončar?
     
    Gegen zwei war sie in Freiburg. Im Erdgeschoss blieb sie an der Stelle stehen, wo einst das Treppenhaus gewesen war,
und blickte nach oben zu den Sternen. Dann stieg sie in der Dunkelheit über das Metallgerüst hinauf zu dem Metallsteg, der zu ihrer Metalltür führte. Auf halbem Weg über den Steg hielt sie erschrocken inne. Sie wusste plötzlich, dass sie nicht allein war, dass jemand hier war, ihr entgegenblickte aus dem Dunkel, dann hörte sie Atemzüge, erkannte, während sie vollkommen überrascht die Pistole aus der Tasche riss, einen Körper am Fuß ihrer Tür, sah Bewegungen, helle Schimmer wie von hellem Haar, eine weiße Hand, die in ihre Richtung gestreckt wurde, hob die Pistole, als sie endlich begriff, wer da saß, auf sie gewartet hatte in der Freiburger Nacht, sich wieder versteckte vor den eigenen Kindern und der ganzen Welt.

14
    » HÄTTEST DU ES NUR GETAN .«
    »Du spinnst.«
    »Hättest du es nur ...«
    »Halt’s Maul, Jenny.«
    Jenny Böhm lachte leise. »Ich dachte, du tust es. Ich hab mir gewünscht, dass du es tust. Fast hättest du es getan, oder?«
    Louise sagte nichts. Sie standen im Wohnzimmer, hielten sich an irgendetwas fest, Louise an der Theke zur Küche, Jenny Böhm an der Sofalehne. Drei Meter zwischen ihnen, und trotzdem roch Louise den Alkohol.
    »Polizistin erschießt Pfarrerin«, sagte Jenny Böhm.
    Louise nickte, rieb sich den schmerzenden Magen, ein paar Sekunden hatten gefehlt, nicht mehr, ein paar Sekunden, und zwei Leben wären zerstört gewesen.
    Sie hatte an Antun Lončar gedacht in der Dunkelheit auf dem Gerüst. Hatte das Gesicht auf dem Foto vor sich gesehen.
    Keine Ahnungen diesmal, nur Angst.
    Dann hatte sie die weiße Hand gesehen und sich an den Montagmorgen in Jenny Böhms Kirche erinnert.
    »Hast du was dabei?«
    »Was?«
    »Was zu trinken.«
    »Nein.«
    »Lüg mich nicht an, verdammt.«
    »Nein.«
    »Du lügst, Jenny.«
    Jenny Böhm stöhnte, hob eine Hand, deutete kraftlos hinter sich. Louise nickte wieder, irgendwo da draußen auf dem Gerüst, wo vorhin nur wenige Sekunden gefehlt hatten zur Katastrophe. Sie würde hinausgehen und die Flasche zerstören, wenn sie wieder zu Kräften gekommen war.
    »Verstecken und lügen«, sagte sie. »Wie damals.«
    Jenny Böhm lachte traurig. Sie wirkte nicht betrunken, war wohl nicht betrunken. Aber sie sprach langsamer als sonst, bemühte sich ganz offensichtlich um eine deutliche Aussprache. Sie kannte die Gefahren. Sie war wieder an dem Punkt angelangt, wo das Verstecken und Verbergen automatisiert war.
    Wo das Trinken automatisiert war.
    »Weiß dein Mann, wo du bist?«
    »Nein.«
    »Er wird sich Sorgen machen.«
    »Kaum.«
    »Natürlich

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