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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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gewartet?«
    Thomas Ilic antwortete nicht.
    »Was denkst du, Illi?«
    »Nichts. Ich denke nichts.«
    Erst jetzt begriff sie. Thomas Ilic, der krankgeschrieben war. Der nur ein paar Bekannte in der Heimat seines Vaters hatte kontaktieren sollen, ansonsten außen vor war, seit eineinhalb Jahren nicht arbeiten konnte. Sie schüttelte stumm den Kopf. Vielleicht das Wort »Illi« auf dem Display vorhin, ganz wie in den alten Zeiten, und weil sie es sich so wünschte, wieder mit Thomas Ilic zu arbeiten.
    »Entschuldige, Illi.«
    »Ist nicht mein Fall. Ich bin ... ich arbeite ja nicht im Moment.«
    »Ich weiß. Scheiße, entschuldige.«
    »Ja.« Thomas Ilic räusperte sich. »Wenn du noch was brauchst, ruf an.«
    »Und du, wenn du noch was erfährst.«
    »Ja.«
    »Nur telefonieren, Illi, hörst du? Nichts anderes.«
    Ein lahmer Scherz in diesem Moment. Doch Thomas Ilic tat ihr den Gefallen und lachte. »Natürlich.«
    Sie beendeten das Gespräch.
    Was denkst du, Illi ... Sie schlug die Hände vors Gesicht, stand auf, verdrängte das schlechte Gewissen, weil sie die Augen wieder spürte, die Augen von Antun Lončar, als wäre er schon hier, in ihr oder in diesen dunklen Wänden, Decken, Böden. Als sie das Gästezimmer betrat, dachte sie, dass eine Frage noch unbeantwortet war, vielmehr eine ganze Reihe von Fragen, die alle mit dieser einen zu tun hatten, der Frage nämlich, ob Antun Lončar ein Nachkomme jener Schemen war, von denen sie mehrfach geträumt hatte, jener Menschen, die im 18 . Jahrhundert vor
allem aus Deutschland nach Südosteuropa umgesiedelt waren. Falls ja, was in den Jahren unmittelbar nach seiner Geburt geschehen war.
    Was 1945 in Valpovo geschehen war.
    Wie die Geschichte begonnen hatte.
     
    Sie erzählte Paul Niemann nichts von den Ahnungen, nichts von Biljana und Snježana, erzählte ihm lediglich, dass der Mann, der sein Haus niedergebrannt hatte, möglicherweise auch nach Au kommen würde. Paul Niemann, der wieder im Sessel am Fenster saß, nickte nur. Sie war sich nicht sicher, ob er zuhörte, ob er begriff, was sie da sagte. Carola, die auf der Sessellehne hockte, schien es ähnlich zu gehen, sie fragte sanft, hast du verstanden, Papa, und wiederholte, was Louise gesagt hatte. Wieder nickte Paul Niemann, ein wenig ungeduldiger diesmal, und Carola sagte, okay, und strich ihm beruhigend über den Arm.
    Louise zeigte ihm das Foto aus München.
    »Ja«, sagte Paul Niemann.
    »Was ja?«
    »Das ist er.«
    »Ich weiß.« Sie fing Carolas flehenden Blick auf, tun Sie es nicht, bitte tun Sie es nicht, aber sie musste es tun, irgendjemand musste es tun.
    Musste diesen Mann endlich in die Realität zurückholen.
    Musste von München erzählen.
     
    Sie sprach fast zehn Minuten lang. Paul Niemann starrte aus dem kleinen Fenster auf die graue Nachbarwand, hörte zu oder auch nicht, sagte kein Wort. Carolas Hand lag auf seiner Schulter, auch sie sah nach draußen, hörte zu oder
nicht. Als Louise ihm die Fotokopie des Vollzugsschreibens zeigte, auf dem sein Name stand, warf er nur einen kurzen Blick darauf. Dann war alles gesagt und gezeigt, und Paul Niemann schwieg noch immer.
    »Also, kein Russlanddeutscher, sondern ein bosnischer Bürgerkriegsflüchtling, der in München gelebt hat«, sagte Louise.
    Keine Reaktion.
    Sie spürte, wie ihre Wut zurückkehrte, kein Mitleid mehr, nur noch Wut und Ungeduld. So konnte man sich doch nicht verhalten, man konnte sich der Realität doch nicht so starrsinnig verschließen nach allem, was geschehen war, es geht doch nicht nur um dich, es geht doch um deine Familie, um die Sicherheit deiner Frau, deiner Tochter, deines Sohnes ...
    Sie trat vor ihn, vor das Fenster, stützte die Hände auf die Sessellehnen. Immerhin, er erwiderte ihren Blick.
    »So geht’s nicht weiter, Herr Niemann.«
    »Ich ...« Er brach ab.
    »Papa«, sagte Carola sanft.
    »Helfen Sie mir. Helfen Sie Ihrer Familie.
Reden
Sie mit mir.«
    »Sie hat Fragen, Papa. Es ist doch so wichtig.«
    Paul Niemann nickte. »Ja. Das weiß ich.«
    »Okay.« Louise richtete sich auf, blieb stehen, wo sie war, nach draußen schaust du mir nicht mehr, du schaust
mich
an. »Kein Russlanddeutscher, sondern ein bosnischer Bürgerkriegsflüchtling. Sind wir uns jetzt so weit einig?«
    Paul Niemann nickte.
    »Sie haben seinen Fall bearbeitet.«
    »Ich weiß nicht ...«
    »Ihr Name steht drauf.«
    Kein Wort, nur ein Achselzucken. Sie schnaubte durch die Nase, die Wut war noch da, du verdrängst mir nicht mehr, nicht jetzt,

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