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Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Titel: Im Auge der Sonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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ausrief: »Erbitte die Gnade der Götter und erniedrige dich vor dem, der über Blut und Winde Seiner Majestät wacht, der Seiner Majestät Eingeweide gesund erhält, der für Verdauung und die Gemütsruhe Seiner Majestät Sorge trägt. Erweise Demut gegenüber dem Obersten Arzt Ägyptens, der rechten Hand Seiner Majestät – dem Ehrwürdigen Reshef. Erflehe die Gnade der Götter!«
    Ein zweiter Mann erschien. Er war hochgewachsen und schlank und trug ebenfalls eine schwarze Perücke und lange weiße Leinengewänder. Seine Augen waren blau umrandet, seine wulstigen Lippen rot angemalt. Das Auffälligste an ihm war seine Nase, die groß und knochig und schnabelförmig gekrümmt war.
    Als der Oberste Arzt Ägyptens Leah gegenüberstand, hob er rasch die Hand, hielt sie sich mit der Handfläche nach außen vors Gesicht und flüsterte etwas auf Ägyptisch. Dann ließ er die Hand sinken und fragte, ebenfalls auf Ägyptisch: »Du bist die Dämonenbetörerin?«, was der Mann mit dem Stab für Leah auf Kanaanäisch übersetzte.
    »So nennt man mich zwar, hoher Herr, aber das bin ich nicht«, erwiderte Leah und schloss aus der Frage des Arztes, dass einer der ägyptischen Kundschafter, denen ihre Entführer unterwegs begegnet waren und mit denen sie sich besprochen hatten, zurück in dieses Lager geritten sein und Reshef von der wertvollen Geisel unterrichtet haben musste. »Ich habe König Shalaaman nach einer Methode geheilt, die aus Jericho stammt. Dämonen zu betören, vermag ich nicht.«
    Er schüttelte abwehrend den Kopf. »Es geht nicht darum, ob du Dämonen betörst oder nicht.
Tatsache ist, dass dein König
glaubt,
dass du ihn am Leben hältst, und darauf kommt es meinem Pharao an. Du wirst unsere Gefangene sein, bis ein Frieden mit Ugarit ausgehandelt ist.«
    »Wann wird das geschehen?«
    »Das kann ich nicht beantworten. In ein paar Monaten vielleicht oder in ein paar Jahren. Oder es kommt zum Krieg, und du kehrst nie wieder in deine Stadt zurück. Das hängt von deinem König ab.« Er schnalzte mit den Fingern, worauf ein Wachhabender mit Leahs Tasche erschien und sie Reshef übergab.
    Reshef griff hinein und zog die Tafeln heraus. »Was bedeuten sie?«, ließ er durch den Dolmetscher mit dem langen Stab fragen.
    »Auf einer steht ein Gedicht, hoher Herr. Auf der zweiten wie man den Dämon behandelt, der die Luftröhre einschnürt. Und auf der dritten eine Rezeptur, für die man Baldrian benötigt. Allerdings ist sie in einer alten Sprache abgefasst, und alles konnte ich noch nicht übersetzen.«
    »Bist du eine Heilerin?«
    »Nein, Herr, in Ugarit ist es Frauen nicht gestattet, sich ärztlich zu betätigen.«
    Gefärbte Brauen wölbten sich über blau umrandeten Augen. »Dann ist dein Volk in der Tat rückständig. In Ägypten gibt es viele weibliche Ärzte, von denen auch einige im Haus des Lebens Unterricht erteilen. Was kannst du mir zu diesen anderen Tafeln hier sagen?«
    Reshef konnte zwar lesen und schreiben, aber nur in seiner eigenen Sprache. Da ihm jedoch genug Korrespondenz aus fremden Ländern untergekommen war, war er in der Lage, auf der Tafel, auf der es um Baldrian ging, das alte Sumerisch zu erkennen. Die anderen achtzehn Tafeln aus der Tasche waren dagegen mit ihm unbekannten Zeichen beschriftet. »Was für eine Sprache ist das?«
    »Ugaritisch«, erwiderte sie, und als sich daraufhin seine Stirn kräuselte, fügte sie hinzu: »Es ist eine ganz neue Schrift.«
    Dunkle Augen unter dicken schwarzen Brauen sahen sie durchdringend an. »Eine
Geheimschrift?
«
    Ihr Herz krampfte sich zusammen. Die Eiseskälte in seiner Stimme gemahnte sie daran, dass sie eine Gefangene war und sich in einem Militärlager befand.
    Noch ehe sie antworten konnte, wurde das Gespräch von einem Boten unterbrochen, der sich hastig mit Reshef besprach und mit einem Auftrag wieder entlassen wurde. Dann wandte sich Reshef an den Dolmetscher, der Leah informierte, dass ein Vertreter von König Shalaaman eingetroffen sei, um über ihre Freilassung zu verhandeln.
    Leah folgte dem Arzt und dem Stabträger zu einer Sänfte, überglücklich und erleichtert darüber, dass Shalaaman so rasch jemanden entsandt hatte, um sie zurückzuholen. Es fragte sich nur, wer dieser Jemand war.
     
    Sie machten sich auf den Weg – Reshef in der Sänfte, Leah und der Dolmetscher zu Fuß. Vor ihnen lag das lichterloh brennende Megiddo, das den nächtlichen Himmel blutrot färbte. Obwohl Leah die vielen Toten auf den umliegenden Feldern nicht sehen

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