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Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Titel: Im Auge der Sonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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konnte, nahm sie den Geruch der verwesenden Leichname wahr. Erlaubte man den Angehörigen denn nicht, ihre Gefallenen zu bestatten?
    Sie kamen an den noch rauchenden Ruinen von niedergebrannten Landsitzen vorbei, die Leah unwillkürlich an das Geburtshaus ihres Vaters denken ließen, das ebenfalls dem Pharao zum Opfer gefallen war. Wo waren die Bewohner dieser Trümmerlandschaft hier abgeblieben? Ein Frösteln überkam sie, als sie sich vorstellte, wie es ihnen ergangen sein mochte.
    Als sie durch die Stadtmauern und von dort aus durch die Straßen zogen, die mit Schutt und Leichen übersät waren und wo aus dunklen Behausungen Wimmern und flehentliche Bitten zu hören waren, ahnte Leah noch immer nicht, wen Shalaaman zu ihrer Befreiung entsandt hatte und ob die Verhandlungen erfolgreich sein würden. Würde Pharao Thutmosis auf Ugarits bedingungsloser Kapitulation bestehen, ehe er Shalaamans Dämonenbetörerin freigab? Und würde Shalaaman auf derart harte Bedingungen eingehen? Was, wenn ihm die Sicherheit Ugarits wichtiger war und er sich entschloss, Ägypten herauszufordern, anstatt zu kapitulieren? Würde Leah dann auf ewig die Gefangene des Thutmosis sein? Oder schlimmer noch …
    Gnädige Asherah, lass nicht zu, dass er mich hinrichten lässt, um ein Zeichen zu setzen!
    Am Fuße der Treppe zum Palast, wo die zertrümmerten Statuen von Megiddos Göttern und Königen Zeugnis von Ägyptens Sieg ablegten, setzten die Sklaven Reshefs Sänfte ab. Von hier aus stieg er die Stufen zu den mit Elfenbein und Bronze beschlagenen schweren Türen hinauf, die offen standen und von ägyptischen Soldaten bewacht wurden. Nachdem Reshef mit seinem Gefolge eingetreten war, führte er Leah zu einer schlichten Holztür, die ihnen ein Wachhabender dienstbeflissen öffnete. Wo war der König von Megiddo abgeblieben?, fragte sich Leah. War er geflohen wie der König von Kadesch, der angeblich über die nördliche Mauer geklettert und um sein Leben gerannt war? Dann waren zwangsläufig jedwede Prinzen, die er zurückgelassen hatte, jetzt Gefangene des Pharaos.
    Sie folgten kalten Gängen, deren Steinwände von Leuchten erhellt wurden. Erst als sie eine Treppe hinunterstiegen und an verschlossenen Türen vorbeikamen, durch die Schreie und Bitten um Freilassung drangen, wurde Leah bewusst, dass sie sich mittlerweile im Gefängnis der Stadt befanden. Eine Gänsehaut überlief sie. Diplomatische Verhandlungen pflegten im Thronsaal stattzufinden, aber doch nicht in einem Kerker!
    Sie betraten einen großen unterirdischen Raum, an dessen feuchten Wänden sich Moos gebildet hatte. Leah stockte der Atem. Ketten und Fesseln waren zu sehen, Folterinstrumente. Arme Teufel, die, in für sie viel zu kleine Käfige gepfercht, außer der Bitte um Wasser kaum noch ein Lebenszeichen von sich gaben. Da waren Gefangene, die bewusstlos und stöhnend auf dem Boden lagen – manche hatten keine Hände mehr, andere keine Füße, ihre Arme und Beine endeten in Stümpfen, die mit einer schwarzen Substanz überzogen waren.
    Ägyptische Soldaten gingen beim Auftauchen von Reshef in Habtachtstellung. Wo blieb Shalaamans Gesandter? Warum war sie an diesen schrecklichen Ort gebracht worden?
    Und dann trat ein Mann in einen Lichtkreis. Er war hochgewachsen und breitschultrig, seine einärmelige Tunika ließ den linken Arm unbedeckt, sein tiefblauer Umhang reichte ihm bis zu den Waden. Als Leah das lange schwarze Haar und den kurz gestutzten Bart sah, traute sie ihren Augen kaum. Wie war das möglich? Dann stürzte sie mit einem Aufschrei auf ihn zu. »David!«
    Er schloss sie in die Arme und küsste sie. »Leah, meine Leah, Shubat sei Dank, dir ist nichts passiert.«
    »Was soll das?«, fragte Reshef auf Ägyptisch, so dass der Dolmetscher die Frage auf Kanaanäisch wiederholen musste.
    »Deine Geisel ist meine Ehefrau«, erwiderte David auf Kanaanäisch, was der Dolmetscher wiederum übersetzte. Warum, fragte sich Leah, sprach David Kanaanäisch, wo er doch Reshefs Sprache beherrschte? Aber dann überlegte sie, dass es für David von Vorteil sein konnte, wenn er dies verschwieg.
    »Du behauptest, ein Prinz von Lagasch und ein Vertreter des Königs Shalaaman von Ugarit zu sein. Entspricht dies der Wahrheit?«
    »Gewiss doch.« David streckte die Hand aus, damit Reshef den Karneol mit den in den Stein gekerbten geflügelten Engeln sehen konnte. »Meine Ehefrau Leah stammt von Ozzediah ab, einem zu seiner Zeit hochverehrten König von Ugarit.« Da er im Lügen nicht

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