Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
Herr.«
»Nein, Leah!«
»David,
ich
habe keinen Eid geschworen.«
»Leah, nur um mich zu retten, kannst du nicht deine Stadt und dein Volk verraten!«
Als sich auf ein Zeichen von Reshef hin die Axt senkte, fiel Leah dem Soldaten in den Arm. Ein anderer Soldat sprang hinzu, versetzte ihr mit dem Schaft seines Speers einen Schlag gegen das Schulterblatt, so dass sie auf den modrig stinkenden Fußboden stürzte.
»Hoher Herr«, sagte David, »bitte lass sie gehen. Ich bin eine weitaus wertvollere Geisel. Mein Vater ist der König von Lagasch. Der Pharao kann mit dieser Frau nichts anfangen. Mit mir schon eher. Ich stelle mich freiwillig zur Verfügung, wenn du im Gegenzug diese Frau entlässt. Keine Sorge, ich werde keinen Fluchtversuch unternehmen.«
Inzwischen hatte sich Leah wieder aufgerichtet. »Ich werde dir sagen, was du wissen willst!«, erklärte sie. »Ich habe mich vier Jahre lang an der Seite von König Shalaaman aufgehalten!«
Als Reshef zögerte und dann Leah skeptisch musterte, beeilte sich David einzuwerfen: »Glaube ihr nicht, Hoher Herr. Sie ist doch nur eine Frau. Während ihr Ägypter dafür bekannt seid, dass ihr euren Frauen zu viel Macht zugesteht, dass sie Eigentum erwerben, Geschäfte führen, sogar Lesen und Schreiben lernen dürfen, und eurer letzten Königin, die kürzlich zu den Göttern gegangen ist, gestattet habt, sich König zu nennen, sind die Männer in Kanaan weit weniger unbesonnen. Wichtige Angelegenheiten hätte König Shalaaman nie und nimmer in Gegenwart dieser Frau erörtert.«
Argwöhnische Blicke hefteten sich auf David. »Ich frage mich, ob ich dir das abnehmen soll. Also raus mit der Wahrheit, Prinz von Lagasch, dann verschone ich deine Hand. Berichte mir von Shalaamans militärischen Plänen.«
Auf Davids Stirn bildete sich feiner Schweiß, alle Farbe wich aus seinem Gesicht. »Das kann ich nicht.«
»Wie du meinst«, sagte Reshef, »mögen die Götter dir gnädig sein.«
Auf sein Zeichen hin senkte sich die Axt. David biss die Zähne zusammen. Leah schrie auf. Die Klinge fuhr blitzend nieder.
Aber dicht über seinem Handgelenk hielt die Axt inne.
In die atemlose Stille trat ein in Weiß gekleideter Mann mit einem Leopardenfell über den Schultern aus dem Dunkel. In der Hand hielt er eine lange weiße Reiherfeder, die er in rote Tinte tauchte, um dann damit, begleitet von einem beschwörenden Zauberspruch, einen roten Strich über Davids Handgelenk zu ziehen.
»Dies ist die Feder der Wahrheit«, rief Reshef mit sonorer Stimme. »Mit ihr trennen wir die Hand von Falschheiten ab. Von Lügen. Wir schneiden die Hand von Unwahrheiten ab. Siehe, der Große Gott Thutmosis nimmt dir deine Hand weg! Siehe, der Große Gott Thutmosis gibt dir deine Hand zurück!«
Die beiden Wachen ließen David los. Seine Knie gaben nach. Leah eilte zu ihm und stützte ihn, schluchzte auf, als er sich an den Hackblock lehnte und tief durchatmete. »Shubat sei Dank!«, rief Nobu und brach gleich darauf in Tränen aus.
Reshef rümpfte die riesige Nase. »Es ist hinlänglich bekannt«, sagte er, »dass Kanaaniter nicht baden. Es wäre eine Zumutung, derart stinkende Kreaturen vor meinen König treten zu lassen.«
»Wir sind seit zehn Tagen unterwegs«, jammerte Nobu. »Reit du mal so lange und dann schau mal, ob du noch wie eine Rose duftest.«
»Nobu!«, kam es mit schwacher Stimme von David.
Aber Reshef blieb gelassen. »Bereitet sie für Seine Majestät vor«, wies er die Wachen an. Die drei wurden abgeführt.
Wie benommen ließ sich Leah, gefolgt von David und Nobu und einem Wachhabenden, durch die feuchten Korridore führen. Als sie das obere Ende der Treppe erreicht und eine weitere Tür passiert hatten, sah sie, dass sie sich im Palast befanden, in einer gut erleuchteten Säulenhalle. Höflinge und Sklaven eilten hin und her, Soldaten und Wachen sprachen miteinander. Megiddo war jetzt das militärische Hauptquartier eines Eroberers und Königs.
Der Wachhabende blieb vor einer Tür mit in Gold eingelegtem Muster stehen, deren beide Flügel sich nach dem Anklopfen auftaten. Leah wurde der Obhut von Frauen anvertraut, die sie offenbar erwartet hatten und ins Innere zogen. Sie begriff, wo sie sich befand. Die parfümierte Luft, weibliche Stimmen, die goldenen Säulen und marmornen Stühle und Liegen, die Wandbehänge aus Leinen, das Lachen der Kinder – sie war im Harem.
Der Raum war überfüllt. Wo, fragte sie sich, als sie allmählich wieder Fassung gewann und die Schrecken
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