Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
Glückszauber wirkt. Du kannst dir nicht vorstellen, welch wundersame Dinge mein Garten birgt, Kindchen! Auf dem Markt habe ich Samen und Setzlinge aus fernen Gebieten erstanden. Schwarznesseln aus Kreta! Sandelholz vom Indus! Papyrus aus Ägypten! Von Arbeitern aus den Weinbergen deines Vaters habe ich mir einen Teich für Seerosen und Goldfische anlegen lassen. Auch einen Springbrunnen, der ständig in Betrieb ist, haben sie mir gebaut. Darüber hinaus Spaliere für Kletterpflanzen. Eine steinerne Vogeltränke. Bänke und Statuen. Ein Garten, der der Götter würdig ist!«
Rakel zählte die Heilkräuter auf, die Blumen, die sie angepflanzt hatte, wies darauf hin, dass sie den Garten, der ein regelrechtes Paradies zu sein schien, ganz allein pflegte. Ob sie wohl einverstanden wäre, überlegte Leah, ihrer bekümmerten Mutter ebenfalls Zutritt zu gewähren, damit sich Hannah an so viel Schönheit aufrichten konnte?
Am östlichen Ende des äußeren Schutzwalls der Villa angelangt, an dem sich Leah bislang nur selten aufgehalten hatte und von dem aus sich Brachland und weiter entfernt die Ausläufer der Berge erstreckten, sagte Rakel: »Medizinische Rezepturen wurden in meiner Familie seit Generationen von Mutter zu Tochter weitergegeben. Leider dürften viele davon wohl in Vergessenheit geraten sein. Aber das, woran ich mich, die Letzte meiner Linie, erinnere – zumal ich mit einem Mediziner verheiratet war –, werde ich an dich weitergeben, liebes Kind, wenn du mir hilfst, die kostbaren Zutaten zu ernten, zu mischen und einzulagern.«
Das hölzerne Tor befand sich in einer hohen Steinmauer. Weinranken, die hier vor langer Zeit hochgeklettert waren, hatten ihre Spuren hinterlassen. Rakel hatte sie, wie sie erzählte, eigenhändig weggerissen, damit die Geister des Gartens merkten, wer ihre neue Herrin war.
»Denk daran, liebes Kind, dass es nicht nur darauf ankommt, die Pflanzen bestimmen zu können. Man muss auch wissen, wann genau man den Samen ins Erdreich auszubringen hat. Wie viel Regen er benötigt, welche Mondphase die beste für die Ernte ist. Einige Pflanzen blühen nur nachts, hast du das gewusst? Wiederum andere wimmern leise auf, wenn du sie aus der Erde ziehst. Und dann wären da natürlich noch die Zaubersprüche, die man beim Pflanzen und Ernten singen muss. Von meinem Garten kannst du wirklich eine Menge lernen, liebes Kind.«
Die alten Holzangeln knarzten, als sich das Tor öffnete. Leah hielt den Atem an und riss die Augen weit auf, um den Anblick, der sich ihr gleich bieten würde, voll und ganz zu würdigen. Ihr Herz klopfte bei dem Gedanken an den Glückstrank – den Garanten für einen Ehemann aus Sidon!
Und dann sackte ihre Kinnlade nach unten. Sie starrte in den Staub, auf die knorrigen Wurzeln, das vertrocknete Laub. Auf das schotterübersäte Stück Brachland. Auf den verwitterten Baum in der Mitte. Alles war tot. Mitnichten ein Paradies.
Sie schaute ihre Tante an, die ihr, strahlend vor Stolz, einen durchlöcherten Korb in die Hand drückte und sagte: »Also dann, Rebekka, sollen wir anfangen?«
Tamar vergewisserte sich, dass Esther schlief, ehe sie leise aus dem Bett glitt, in ihre Sandalen schlüpfte, sich ein Gewand überwarf und die Kammer verließ.
Die Olivenhaine, in denen Baruch sie erwartete, befanden sich am Rande der Straße, die in die Stadt führte, weshalb der Weg dorthin nur kurz war. Die Freude und die Erregung eines jungen Mädchens, das heftig verliebt war, beflügelten ihre Schritte. Seit einem Jahr traf sie sich heimlich mit Baruch. Und jetzt war es so weit. Heute Nacht wollte sie sich ihm hingeben. Ein Ehemann für Leah war unterwegs hierher – aus Sidon! Nichts mehr konnte Tamar daran hindern, ebenfalls zu heiraten.
Und da wartete er ja schon, trat unruhig wie ein Hengst vor einem Rennen abwechselnd ins Mondlicht und wieder in den Schatten der Olivenbäume. Heute Nacht werden wir uns lieben, sagte sich Tamar und rannte auf ihn zu. Ein ganzes Jahr über haben wir uns unsere Keuschheit bewahrt. Länger kann ich nicht warten.
»Halt mich fest«, sagte sie und warf sich in seine ausgebreiteten Arme. Wie berauschend allein, einen männlichen Körper zu spüren! Die breiten Schultern, die harten Muskeln! Ganz anders als die Umarmung einer Frau, die um so vieles zarter gebaut war, deren Berührung man kaum spürte.
Ich hätte ein Junge werden sollen. Leah ebenfalls. Aber Vater liebt sie trotzdem. Als ich unterwegs war, sagte er: »Diesmal werden mir die
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