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Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Titel: Im Auge der Sonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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aufsuchen? Ich würde nämlich recht gern ewig leben.«
    »Shubat möge deine lästerliche Zunge im Zaum halten, mein einfältiger Freund. Das Kraut ist heilig. In Ugarits Bibliothek gibt es aber noch viel mehr,
sehr viel
mehr. Bei Shubat, über zwanzigtausend Schriftrollen sollen dort aufbewahrt werden! Darunter solche, die vor so langer Zeit geschrieben wurden, dass gemunkelt wird, die Götter selbst hätten sie verfasst. Schriftsammlungen, mein zweifelnder Freund, in denen jede Frage beantwortet wird, die ein Mensch je gestellt hat.«
    Nobu rümpfte die Nase und kratzte sich am Gesäß. Seiner Meinung nach war die einzige Frage von Bedeutung die, woher die nächste Mahlzeit kam. Aber das behielt er für sich und ließ seinen jungen Herrn weiterhin schwelgen, weil er ahnte, dass ihnen noch früh genug eine herbe Enttäuschung bevorstand und David entmutigt und misstrauisch wie jeder andere sein würde.
    Mag sein,
raunte eine Stimme in Nobus Kopf,
aber vergiss nicht, dass dein Herr seinen Beruf liebt und sich ihm verschrieben hat. Ehre und Rechtschaffenheit gehen ihm über alles. Als ihm mit sieben Jahren das erste makellose Schriftzeichen gelang, vernahm er einen Ruf, eine Berufung. Wozu? David war sich nicht sicher, aber er vertraute darauf, dass sein Gott ihm ein Zeichen geben würde. Als Jahre später aus Ugarit verlautete, ein wohlhabender Winzer suche einen privaten Schreiber, sagte David, dies sei das Zeichen. Schau ihn dir nur mal an. Freudig erregt, erfüllt von Lebenslust und Visionen, wie ein Kind am Vorabend des Winterfests, wenn es nicht einschlafen kann und nur an die Süßigkeiten denkt, die es nach dem Aufwachen erwarten. Ein junger Schriftgelehrter, der darauf brennt, nach Ugarit zu kommen und dort seinem Gott zu dienen.
    Dabei ist es gar nicht so gut,
fuhr die flüsternde Stimme fort,
wenn ein junger Mann derart religiös ist. Das engt seinen Lebensraum ein. David sollte in Gasthäusern feiern und so viele Frauen wie möglich beglücken. Stattdessen sucht er Bibliotheken auf und nimmt liebevoll Tontafeln zur Hand! Wenn ihn bislang tatsächlich mal die Sehnsucht nach einem weiblichen Körper überkam, hat er die heiligen Huren der Ishtar aufgesucht!
    Nobu griff nach seinem ledernen Weinsack und trank so lange, bis die Stimme in seinem Kopf verstummte.
    Er hatte durchaus Verständnis dafür, dass sein Meister aufgeregt war. Morgen würden sie das Haus von Elias am Stadtrand von Ugarit erreichen und David dort seine einjährige Lehrzeit als persönlicher Schreiber des reichen Winzers absolvieren. Anschließend die Bruderschaft.
    Der Bruderschaft beizutreten war nicht so einfach; David vertraute dennoch darauf,
aufgenommen zu werden, weil der hoch geachtete Shemuel, dessen Position er übernahm, für ihn bürgen wollte. Und ein Bürge war entscheidend – ohne Fürsprecher gab es keine Chance. Nobu wusste, dass mit der Aufnahme Davids Ehrgeiz noch nicht gestillt war, sondern dass er vorhatte, eines Tages zum
Leiter
der Bruderschaft aufzusteigen, jenes elitären Kreises, der die Bewacher und Beschützer der großen Bibliothek von Ugarit stellte, in der Zehntausende Tontafeln lagerten, ein Archiv, das dem Vernehmen nach die Geschichte vom Anbeginn der Welt enthielt, die Zaubersprüche, die Leben auf der Erde bewirkt hatten, das Geheimnis der Unsterblichkeit, die Örtlichkeiten, an denen weiterhin das göttliche Heilkraut wuchs, das Tote wieder zum Leben erweckte und alten Menschen ihre Jugend wiederschenkte. Eine Fundgrube an geheimem und geheiligtem Wissen, dank Ugarits zentraler Lage für Handelsrouten und Schiffslinien aus allen Himmelsrichtungen zusammengetragen. Dennoch hatte Nobu den Verdacht, dass es David weniger um den Schatz ging, den die Bruderschaft in Verwahrung hatte, als vielmehr darum, seinem Gott zu dienen. Eine derartige Leidenschaft hegte sein Herr für das geschriebene Wort, dass er eine höhere Berufung spürte als nur die zum Schriftgelehrten – und es gab keine höhere Berufung als die, als Rab der Bruderschaft zu dienen.
    Der Rab, was auf Kanaanäisch »Meister« bedeutete, war der oberste Priester und Lehrer der Bruderschaft der Schriftgelehrten. Dieses Amt strebte David an. Und warum sollte ihm nicht gelingen, dieses Ziel zu erreichen? Schon weil er vier Sprachen beherrschte, auch schriftlich – selbst die verzwickten ägyptischen Hieroglyphen! Sobald er der Bruderschaft beigetreten war, würde nichts seinen Aufstieg ins höchste Amt aufhalten.
    Nobu erhob sich von seinem

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