Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
Schemel und suchte ein Gebüsch auf, um dort seine Notdurft zu verrichten. »Ja, ja«, murmelte er, »ich weiß Bescheid.«
Mit seinen vierundvierzig Jahren war er zwanzig Jahre älter als sein Herr. Sein kurzgeschorenes braunes Haar wies ihn als Sklaven aus. Trotz seines gewölbten Bauchs konnte man ihn nicht als dick, sondern eher als stämmig bezeichnen. Seine Gestalt wirkte jedoch irgendwie komisch: Wegen seines schlurfenden Gangs und weil er bei jedem Schritt ruckartig den Kopf vorstreckte, hatte man ihm den Spitznamen »Schildkröte« verpasst. Über seinen blinzelnden Augen hingen schwere Lider, und weil er, um seine Umgebung besser wahrzunehmen, die Brauen heben musste, hatten sich tiefe Falten in seine Stirn gekerbt. Am bekanntesten war Nobu jedoch nicht wegen seines merkwürdigen Äußeren, sondern wegen der göttlichen Stimmen in seinem Kopf, denen er hin und wieder leise antwortete und die man allgemein als ein Geschenk der Götter wertete. Nobu brachten die Stimmen einen großen Vorteil ein: Frauen begehrten ihn als Vater ihrer Kinder. Wenn die Götter ihn mit dieser Gabe bedacht hatten, so hofften sie, würden vielleicht auch ihre Kinder Stimmen hören. Man war es gewohnt, dass Nobu vor sich hin brummelte, wenn er bei der Arbeit war oder in ein Feuer starrte, sogar wenn andere sprachen. Man wusste ja, dass er dann seinen inneren Stimmen Rede und Antwort stand.
Was jedoch niemand wusste, nicht einmal David, war, dass Nobu diese Stimmen gar nicht hören wollte – ob sie nun von den Göttern kamen oder nicht. Er wollte, dass in seinem Kopf Ruhe herrschte. Und seit er entdeckt hatte, dass Alkohol diese Stimmen dämpfte, gab er sich genüsslich dem Wein hin.
Allerdings achtete er darauf, dass ihn der Wein nicht daran hinderte, seine Pflichten als Davids persönlicher Sklave zu erfüllen. Er sorgte dafür, dass die umfangreiche Garderobe seines Herrn in gutem Zustand war und dass sein Schreibzeug bereitlag, und er begleitete David überallhin. Eine der schwierigsten Aufgaben für Nobu war, das Haar seines Herrn in Form zu bringen. In diesem Punkt war David wie die meisten jungen Männer sehr eigen. Ihn zu frisieren erforderte besondere Geschicklichkeit und Zubehör, außerdem viel Zeit, um perfekte Ringellocken zu zaubern: Das lange schwarze Haar wurde über einen im Feuer erhitzten Bronzestab gerollt, dann jede einzelne lange Locke mit Öl zum Glänzen gebracht und schließlich mit einem goldenen Ring befestigt. Am Ende der Prozedur sah sein Herr in der Tat wie der Prinz eines sehr edlen und königlichen Hauses aus.
Während Nobu seine Blase entleerte und über so manches nachdachte, wurde er von fünf Augenpaaren beobachtet.
Die Wegelagerer grinsten einander beim Anblick des kleinen Lagers an. Lediglich zwei Männer hielten sich dort auf! Sie besaßen sogar Pferde – ein Zeichen für Reichtum – und trugen Schmuck. Vornehmlich der Jüngere, in dessen Haar es golden glänzte! Der Anführer der zerlumpten Bande lachte leise auf. Geschieht ihnen ganz recht, diesen beiden Reisenden. Das wird sie lehren, sich ohne jeglichen Begleitschutz auf eine Reise zu begeben.
Nobu brachte seine Kleidung wieder in Ordnung, kehrte ans Feuer zurück. Er genehmigte sich einen weiteren Schluck aus dem Weinbeutel und schaute in die erlöschende Glut. Hoffentlich erwartete sie ein prächtiges neues Zuhause – jemand, der Weinberge besaß und seine Erzeugnisse in die ganze Welt verschiffte, musste doch reich sein! Und von jungen hübschen Sklavinnen umsorgt werden. Zumindest sollte es in der Stadt ein annehmbares Bordell geben. Ugarit besaß schließlich einen Hafen und war deshalb eine Stadt für Seeleute.
David schaute auf, als er Schritte hörte, und sah fünf stämmige Männer in verdreckten Tuniken auf das Lager zukommen. Ihre bärtigen Gesichter umspielte ein Grinsen. »Na, wen haben wir denn da«, sagte einer von ihnen. »Einen jungen Mann aus gutem Hause mit seinem Sklaven.« Er sah sich nach allen Seiten um. »Ohne jedweden Begleitschutz.«
»Freund«, kam es leise von David. »Ihr werdet doch wohl nicht vorhaben … Zieht in Frieden, die Götter seien mit euch.«
Der Vorderste, den David für den Anführer hielt, warf den Kopf zurück und lachte. »Ich
erzittere förmlich vor dir,
Freund.
Zumal ich und meine Brüder gegen einen Riesen wie dich keine Chance haben.«
»Ehrlich gesagt«, gab David zurück, »möchte ich nichts weiter als in Ruhe gelassen werden. Deshalb bitte ich euch nochmals, in Frieden
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