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Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)

Titel: Im Auge der Sonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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vor langer Zeit ein kleiner Teich angelegt worden. An dessen Rand sah Avigail jetzt Esther knien und ins Wasser blicken. Fische befanden sich nicht im Teich. Was um alles in der Welt betrachtete das Mädchen dann?
    Sie blieb abrupt stehen, als sie merkte, dass Esther ihr eigenes Spiegelbild studierte. Esther, die sich stets weigerte, einen Blick in den Spiegel zu werfen! »Liebes Kind, was machst du denn da?«, fragte sie und ging auf sie zu.
    Esther stand auf – und Avigail war verblüfft. Wie groß ihre Enkelin war! Und gertenschlank. Wann war sie so in die Höhe geschossen? Wann hatte sie sich zu einer jungen Frau entwickelt?
Halla,
durchfuhr es Avigail, ich war so damit beschäftigt, das Haus in Ordnung und meine Familie zusammenzuhalten, dass ich nicht mitbekommen habe, wie erwachsen meine jüngste Enkeltochter geworden ist.
    Und obendrein bildhübsch.
    Anders konnte man die junge Dame, die anmutig auf sie zukam, nicht beschreiben. Um ihren Mund und ihr Kinn abzudecken, hatte sie ihren Schleier unterhalb der Nase befestigt. Wie Avigail zum ersten Mal auffiel, sah sie Leah ungemein ähnlich, und darüber hinaus war sie, wenn sie die gespaltene Lippe verbarg, eine veritable Schönheit!
    »Tante Rakel hat mich auf die Idee gebracht«, sagte Esther und löste die Ecke ihres Schleiers. »Sie sagte, damals in Jericho hätten die Frauen ihr Gesicht verdeckt, wenn sie außer Haus gingen. Ich wollte sehen, wie das aussieht.«
    »Ja«, gab Avigail gedehnt zurück. Es schmerzte, an vergangene Zeiten erinnert zu werden. »Wann … hat Rakel dir das erzählt, Liebes?«
    Esther zuckte mit den Schultern. »Sie spricht doch ständig von Jericho.«
    Avigails Stirn kräuselte sich. »Wirklich? Ich habe nichts dergleichen mitbekommen. Jedenfalls nicht in letzter Zeit.«
    »Sie unterhält sich mit Leah. In dem kleinen Garten, in dem sie immer arbeiten. Wo sie Kräuter anpflanzen und Heilmittel herstellen.«
    Avigail starrte ihre Enkelin an, deren entstellter Mund jetzt, ohne Schleier vor dem Gesicht, wieder zu sehen war. »Esther, was redest du da?« Doch sie schöpfte bereits Verdacht.
    »Leah möchte wissen, wie man die Fallsucht heilt. Deshalb ist sie mit Tante …«
    Avigail ließ das Bündel mit den Flicksachen fallen und stürzte davon. Esther konnte ihr nur noch verdutzt hinterhersehen.
     
    »Wir lassen Molochs Traum nicht in der Sonne trocknen, das mindert seine Wirksamkeit«, sagte Tante Rakel, während sie Leah unterwies, wie man die gefächerten Blätter von den langen Stängeln entfernte, so dass nur die Knospenbüschel am Stängel verblieben. »Wir trocknen ihn langsam, indem wir die Knospen verkehrt herum für eine Woche oder zwei an einem dunklen, luftigen Ort aufhängen. Wenn der Stamm aufplatzt, ist es an der Zeit, die Knospen abzulösen. Diese Büschel stopfen wir dann in Gefäße, die luftdicht verschlossen und im Abstand von wenigen Stunden immer wieder geöffnet werden müssen, damit die Feuchtigkeit entweicht. Wenn wir das ein paar Tage lang wiederholen, bis die Knospen getrocknet sind und sich keine Feuchtigkeit mehr im Gefäß ansammelt, dann steht der Verwendung von Molochs Traum nichts mehr im Wege.«
    Leah saß in der Frühjahrssonne und zupfte die gefächerten Blätter ab, um die medizinisch so wirkungsvollen Knospen freizulegen. In wenigen Tagen, jubelte sie innerlich, würde das Heilmittel gegen Fallsucht bereitstehen, und sie könnten es Zira als Friedensangebot überbringen.
    Was sie jetzt noch in Erfahrung bringen musste, war, in welcher Menge und in welcher Form die getrockneten Knospen zu verwenden waren, hatte doch Tante Rakel mehrfach darauf hingewiesen, dass zu viele davon bewirken konnten, dass die Seele den Körper für immer verließ, ohne dass der Patient starb.
    Es machte ihr Freude, jeden Tag mit Tante Rakel herzukommen und inmitten der grünen Büsche und Blätter, der roten, weißen, rosa und gelben Blumen zu arbeiten, dem Summen der Bienen zu lauschen, sich an den um sie herum tanzenden Schmetterlingen zu erfreuen, wenn sie Kräuter und Wurzeln bearbeitete, um Salben und Cremes und Tees zur Linderung von körperlichen Beschwerden ihrer Familie herzustellen. An diesem Morgen jedoch, als sie mit Tante Rakel Molochs Traum erntete, war ihr Herz schwer.
    David würde sie bald verlassen.
    Seit jenem Abend auf dem Dach, als sie, eingehüllt in die Strahlen eines goldenen Sonnenuntergangs, erkannt hatten, dass ihre Wege im Widerspruch zueinander standen, waren Monate vergangen. Sie hatte

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