Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
Tag kühl und still. »Sie nannte mir das Heilmittel gegen die Fallsucht. Teilweise zumindest. Grundlage sind die Blätter einer Pflanze, die sich Molochs Traum nennt.«
Auch David spürte die heraufziehende Kälte. Wie böse Geister huschten Schatten über das Dach, als er Leah in die Augen sah. »Bei Shubat«, stieß er fassungslos aus. »Der Rab erachtet mich für geeignet, seine Nachfolge anzutreten, wenn feststeht, dass Yehuda die Fallsucht hat. Wenn du sie aber heilen kannst …«
»Das muss ich tun.« Tränen drängten sich in ihre Augen. »Nur so kann ich Zira umstimmen, Jotham von seinem Rachefeldzug abzubringen, und damit meine Familie vor dem sicheren Ruin bewahren.«
David trat zurück, rammte die rechte Faust in seine linke Handfläche. »Yehuda darf nicht der neue Rab werden! Er ermuntert zu Bestechung und Schmiergeld! Er verschließt die Augen vor laschem Verhalten, die Schriftkundigen missachten die Regeln ihrer heiligen Gemeinschaft und begehen Gotteslästerung!«
»David, es tut mir leid …«
»Shubat ist mein Zeuge, Yehuda wird die Korruption derart ausufern lassen, dass die Bruderschaft von innen heraus verfault und auseinanderbricht, bis niemand ihr länger angehören möchte. Das wäre ihr Untergang! Was soll dann aus Ugarits Männern werden, die den Wunsch haben, lesen und schreiben zu können? Wo sollen sie unterrichtet werden? Von wem? Die Kunst des Schreibens, die Bewahrung der Archive könnte völlig verkommen. Leah!«, rief er so laut, dass seine Worte weithin zu vernehmen waren, »es ist meine heilige Pflicht, Yehuda im Auge zu behalten, und sobald ich Zeuge eines Anfalls werde, muss ich den Rab benachrichtigen, damit er Yehuda nicht zu seinem Nachfolger macht!«
»Und ich muss das Mittel gegen Yehudas Fallsucht finden, damit Zira meine Familie verschont«, sagte Leah unter Tränen. »Wir halten nicht mehr lange durch. David, ich kann meine Familie unmöglich im Stich lassen.«
»Und ich nicht meine Berufung«, erwiderte er grimmig.
Sie lehnte sich an seine Brust, ihre Tränen netzten seine Tunika. »David, was sollen wir denn tun?«
Er legte die Arme um sie, seine Kehle war wie zugeschnürt, kein Wort brachte er heraus. Wie grausam die Götter sein konnten! Da fühlte er sich verpflichtet, Yehudas Fallsucht aufzudecken, und Leah, sie zu heilen.
8
»Der König leidet unter dem Dämon, der die Luftröhre einschnürt, Em Yehuda. Das Atmen, so heißt es, bereite ihm Schwierigkeiten. Zeitweise könne er nur noch keuchen, und wenn es dann so schlimm wird, dass er fast gar keine Luft mehr bekommt, soll sein Gesicht vor Anstrengung rot anlaufen. Priester und Ärzte sind um ihn bemüht, und in allen Tempeln der Stadt werden Opfer dargebracht. Die Bewohner beten für ihn.«
Zira wusste, wie beliebt der Monarch in Ugarit war. König Shalaaman war ein weiser König, ein geschickter Diplomat, der es verstand, Frieden und Ordnung und das gute Einvernehmen mit fremden Mächten aufrechtzuerhalten. Dank ihm waren die Schatzkammern voll, die Steuern niedrig, das Volk zufrieden, und wenn er über Schwerverbrecher zu Gericht saß, fiel sein Urteil gerecht aus, so dass kaum jemand seine Entscheidung kritisierte. Shalaaman war nicht sein richtiger Name; geboren als Jedaijah, wurde er vom Volk so geliebt, dass man ihn »den Friedvollen« nannte – Shalaaman.
Als der Spitzel, der dafür bezahlt wurde, sich im königlichen Palast umzuhören, seinen Bericht beendet hatte, starrte Zira durch die lichtdurchlässigen Vorhänge vor dem Balkon, von dem aus man über das Meer blickte. Sie nahm weder den wolkenverhangenen Frühlingstag, der Regen ankündigte, zur Kenntnis noch den Lärm, der vom Hafen heraufdrang, als sie tief in Gedanken versunken auf ihrer Lippe herumkaute. Die Zeit drängte. Yehuda musste zum Rab ernannt werden, bevor der König starb.
Mit einem Fingerschnippen entließ sie den Spitzel – ein Dank erübrigte sich, da er gut entlohnt worden war – und beschloss, auf der Stelle ihren Sohn aufzusuchen und ein Machtwort zu sprechen.
Sie fand Yehuda in seinem privaten Garten, in dem er Söhne aus reichen Familien Unterricht erteilte, wobei er sich darauf beschränkte, den Knaben, die keineswegs die Absicht hatten, den Beruf eines Schriftkundigen auszuüben, lediglich Grundkenntnisse im Lesen und Schreiben beizubringen. Fernab von dem Druck, unter dem er bei seiner Arbeit für die Bruderschaft stand, wie er das nannte. Die Knaben zu unterrichten war nicht schwer, sie brauchten nur
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