Im Auge des Feuers
Einfach weg. Soweit ich verstanden habe, bin ich ein Stück entfernt von ein paar Feuerwehrmännern aufgelesen worden.« Sverre machte eine hilflose Geste. »Es ist wie ein Fluch, Eira. Wenn ich mir etwas wünsche, dann, dass ich wüsste, was sich in der letzten halben Stunde in dem Gebäude zugetragen hat. Was wirklich passiert ist.« Er schwieg und sah weg. »Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht ist es besser, dass man sich nicht an alles erinnert. Sie verstehen, ich glaube, sie waren da, mehr oder weniger der ganze Haufen. Ich habe Karl hineingehen sehen. Nachdem ich reingegangen war, habe ich mich auf der Toilette versteckt, weil eine Frau kam. Ich bin mir nicht sicher, wer es war, Eira. Ich habe immer geglaubt, dass es Rita war.« Er hielt beide Hände hoch. »Unter dem Vorbehalt, dass ich möglicherweise nicht mehr ganz zurechnungsfähig war: Ich glaube, es war Rita.«
Eira schwieg nachdenklich. Bis jetzt war Rita nie erwähnt worden. Sie selbst hatte ausgesagt, in jener Nacht einige Zeit vorher nach Hause gefahren zu sein.
Sverre Wikan reagierte auf Eiras verwunderte Miene. »Sie haben völlig recht mit dem, was Sie jetzt denken«, sagte Sverre langsam. »In den Vernehmungen habe ich Rita nie erwähnt.«
»Warum nicht?«
»Weil ich sie nicht ge sehen habe. Ich war mir nicht sicher. Ich habe nur eine Stimme gehört, die ich für die ihre hielt. Das schien mir eine allzu dünne Grundlage zu sein, um jemanden da hineinzuziehen, mit Vernehmungen und allem, was daraus folgt. Das habe ich schon als Fünfzehnjähriger begriffen.« Er lachte trocken. »Ich habe wohl damals schon Wert auf wasserdichte Beweise gelegt.« Er richtete sich auf und ordnete seine Papiere. »Sie verstehen sicher, dass ich mich nie in einen Gerichtssaal stellen und etwas hiervon beschwören werde. Dazu ist die Geschichte zu alt und die Erinnerung zu unsicher. Aber unter uns gesagt, wahrscheinlich habe ich Ritas Stimme gehört.«
Kapitel 60
Eira ließ das Auto stehen und schlenderte ins Zentrum hinunter. Das Wetter hatte umgeschlagen. Es war trocken und der leichte Wind wirkte wie ein Filter für die Gedanken.
Eira musste aufpassen, nicht bereits am helllichten Tag Gespenster zu sehen. Aber dass Jens Eide mitten in der Nacht ins Meer gefallen sein sollte, würde ihn so lange beunruhigen, bis Jens selbst ihm alles erklärt hatte. Eira wurde das dumpfe Gefühl nicht los, dass Jens einer Gewalttat zum Opfer gefallen war.
Wem konnte Jens im Weg gestanden haben?
Als Erstes kam Eira Johan Fjeld in den Sinn, aber der konnte es nicht gewesen sein. Johan befand sich noch in Untersuchungshaft, auch wenn sie bis jetzt nichts Konkretes gegen ihn in der Hand hielten.
Wer hätte noch Anlass haben können, Jens vorsätzlich etwas anzutun?
Rita war ebenfalls Hauptverdächtige im Fall Karl Fjeld. Aber auch hier war die Beweislage unsicher. Die beiden Geschwister würden sich weiterhin gegenseitig stützen oder einander in den Rücken fallen, je nachdem.
Eira überlegte. Wie wäre es, Kontakt mit Rita aufzunehmen und sie ganz einfach mit Sverre Wikans Informationen zu konfrontieren? Nach einer Weile entschied Eira sich, erst einmal abzuwarten. Rita hatte unter Eid geschworen, dass sie während des Brandes nicht in dem Gebäude gewesen war. An dieser Aussage würde sie festhalten, bis man das Gegenteil bewiesen hatte.
Am Grandhjørnet bog er ab und hatte den Smørtorget vor sich. Jetzt, zur Essenszeit und kurz vor Geschäftsschluss, waren kaum Leute hier. Das Bryggekanten-Einkaufscenter stand wie ein gotischesGeisterhaus am Hafen. Man hatte den kürzlich niedergebrannten Neubau großräumig gesperrt. Das rot-weiß gestreifte Absperrband flatterte im Wind.
Eine große, schlanke Gestalt stand aufrecht und unbeweglich neben einem Abfallcontainer und betrachtete die Reste des Gebäudes. Eira erkannte sie bald. Gunhild Wikan.
Sie drehte ihm langsam den Kopf zu, als er neben sie trat. »Solche Brände sind schrecklich«, sagte sie zögernd. »Was einmal war, ist für alle Zeit verschwunden. Ausgelöscht.«
»Sie sind ja immer noch in der Stadt.«
Sie nickte kurz.
Eira überlegte, welche Frage möglichst harmlos klingen würde. »Sehen Sie Sverre ab und zu?«
»Doch, sicher. Wenn es sich so ergibt.« Sie sagte die Worte leichthin und unbeschwert – keinesfalls so, als sei das Verhältnis zu ihrem Sohn durch jahrelange Konflikte belastet. Sverre hatte das jedoch ganz anders dargestellt. Eira fragte nicht weiter nach. Die persönliche Beziehung der
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