Im Auge des Feuers
Gunhild Wikan, nicht wahr?«
Eira antwortete nicht.
Rita schnaubte vor Wut. »Dazu sage ich nur eines: Da haben Sie Gunhild Wikan, wie sie leibt und lebt. Durchtrieben, verlogen, ohne jegliche Moral. Sie schert sich einen Dreck um die Gefühle anderer. Sie ist das Zentrum des kleinen Wikan’schen Universums. Armer Oscar Wikan, dass er sich in dieses Ungeheuer vergafft hat. Und all die anderen armen Teufel, die sie nach ihrer Pfeife hat tanzen lassen – was sag ich, noch immer tanzen lässt! Und jetzt auch noch Sie, Eira!«
Sie stand auf. »Ich weise das entschieden zurück. Distanziere mich davon. Seien Sie sich darüber im Klaren, dass mindestens jede zweite von Gunhild Wikans Behauptungen eine glatte Lüge ist.«
Ritas Rücken war steif und gerade, als sie zur Haustür ging und sie für Eira öffnete. »Jetzt können Sie noch einmal mit Gunhild Wikan darüber sprechen. Gute Nacht.«
Am nächsten Morgen schickte er Berger in die Pension, um Gunhild Wikan abzuholen. Eira wartete im Auto. Nach nur zwei Minuten war Berger wieder draußen.
»Gunhild Wikan kann nicht kommen.«
»Wie meinst du das?«
»Sie ist krank. Hat Fieber und Schmerzen am ganzen Körper, wie es heißt.«
»Wer sagt, dass sie krank ist? Sie war munter wie ein jungesFohlen, als ich sie zuletzt gesehen habe, und das ist erst ein paar Stunden her«, platzte es aus ihm heraus. Es klang wie ein Vorwurf.
Berger drehte sich langsam zu ihm. »Weißt du, Eira, ich überbringe bloß die Nachricht. Geh doch bitte hin und frag selbst nach.«
Genau das tat er. An der Rezeption saß ein junger Mann mit glatt zurückgekämmtem Haar. Er teilte Eira mit, dass Gunhild Wikan unter keinen Umständen in der Lage sei, das Haus zu verlassen. Sie hatte sogar einen Arzt gerufen und sich ein Attest besorgt.
Eira legte den Kopf nach hinten und schlug mit beiden Händen aufs Lenkrad. »Wie lange soll man diesen Zirkus eigentlich noch mitmachen, Berger?«
Sie sah ihn nicht an. »Keine Ahnung, Eira. Was dich bei der Stange hält, weiß ich nicht. Ich kann nur für mich selbst sprechen. Es muss daran liegen, dass ich masochistisch veranlagt bin.«
»Mir geht’s ähnlich. Aber egal. Jetzt fahren wir zu Helmersen und trinken einen Kaffee. Dabei genießen wir ein Stück Kuchen und erfreuen uns am Anblick von bräunlichem Schneematsch draußen auf der Straße. Nur ein Viertelstündchen. Gunhild Wikan wird sowieso erst kommen, wenn sie selbst es will. Krank, ja, ganz bestimmt.« Er startete den Motor und brauste los.
Eira hatte gelernt zu warten. Ausdauer war in vielen Phasen seines Lebens eine notwendige Tugend gewesen. Nicht zuletzt, um zu überleben. Als Junge war er viele Nächte aufgeblieben, hatte mucksmäuschenstill hellwach auf der Küchenbank gesessen und darauf gewartet, dass sich sein Vater ins Bett schleppen würde. Erst wenn dessen Atem gleichmäßig und schwer geworden war, konnte sich auch der kleine Aslak hinlegen.
Aber auch bei erfreulicheren Gelegenheiten hatte Aslak Eira gelernt, wie wichtig es war, sich in Geduld zu üben. Er hatte stundenlangauf dem Hochsitz ausgeharrt und auf Elche gewartet oder eine halbe Ewigkeit lang in reißender Strömung gestanden und Lachse geangelt.
Da war das Warten vor Gunhilds Pension das reinste Kinderspiel. Diesmal wusste er zumindest, aus welchem Schlupfloch die Beute kriechen würde.
Als Gunhild schließlich auf die Straße trat, war es bereits komplett dunkel geworden. Es war halb drei nachmittags. Sie trug einen schwarzen Mantel und eine Mütze, aber Eira erkannte sie mittlerweile am Gang. Sie setzte sich in einen kleinen dunkelblauen Citroën, der etwas weiter oben in der Straße geparkt war. Auf der Heckscheibe klebte das Logo einer Autovermietung.
Sie fuhr nicht weit. Einige Minuten später parkte der Citroën vor einem Wohnblock in Myreng. Aus irgendeinem Grund hatte Eira sich diese Adresse gut gemerkt. Hier wohnte Nancy Larsen, die langjährige Haushälterin der Fjelds.
Eira stellte seinen Wagen vor einem Kiosk in der Nähe ab und sah aus sicherer Entfernung, wie Gunhild zur Tür eilte.
Bis sie endlich wieder herauskam, hatte er zwei Zeitungen komplett durchgelesen. Gunhild hatte die Hände tief in den Manteltaschen vergraben und ihr Nacken war gebeugt. Eilig lief sie zum Auto zurück.
Nancys Wohnung lag im zweiten Stock. Eira klingelte. Nancy wurde blass, als sie die Tür öffnete und ihn draußen stehen sah. »Ja? Worum geht es?«
»Liebe Nancy. Ich verkaufe keine Staubsauger. Darf ich
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