Im Auge des Feuers
beiden hatte nichts mit seiner Arbeit zu tun.
Sie blieben nebeneinander stehen und blickten auf die Brandruine.
»Sie haben damals viel durchgemacht«, bemerkte Eira schließlich.
Gunhild schwieg lange und Eira glaubte nicht mehr, dass sie noch reagieren würde. Doch dann seufzte sie: »Ach ja, aber ich hatte auch viel zu verantworten. Im Nachhinein würde ich sagen, dass ich billig davongekommen bin.«
Ihm fehlten die Worte. Sie hatte bei dem Brand ihren Ehemann verloren, ihr Sohn war verletzt worden, danach war sie mit einer Flut übelster Gerüchte und tiefem Hass konfrontiert worden. Eira verstand nicht, warum sie der Ansicht war, billig davongekommen zu sein. »Wie meinen Sie das?«
»Glauben Sie an Sühne, Eira?«
»Nicht in der Bedeutung, die das Wort für Sie zu haben scheint.«
»Aber ich tue es.« Sie zog ihren Mantel enger um sich und starrte in die Dunkelheit. »In meinem Alter blickt man größtenteils in Richtung Vergangenheit. Ich möchte meine Schulden begleichen.«
Eira wollte etwas entgegnen, aber sie hob abwehrend die Hand. »Mein Mann hatte ein Verhältnis mit Rita Fjeld.«
»Das ist mir neu. Niemand hat so etwas je erwähnt.« Eira musterte sie skeptisch.
»Rita hat es damals ihrem Vater erzählt. Andreas Fjeld wurde rasend vor Wut und verlangte, dass die beiden ihre Beziehung sofort beendeten und die Sache absolut geheim hielten. Andreas erstellte falsche Überstundenlisten und behauptete, Oscar habe sie geschrieben. Er wollte meinen Mann unbedingt loswerden.«
»Woher wissen Sie, dass Andreas Fjeld das getan hat?«
»Weil er es mir selbst gesagt hat.«
Eira schwieg.
Gunhild Wikan schien hingegen immer gesprächiger zu werden. »Als Karl anfing, bei seinem Vater im Büro zu arbeiten, fand er natürlich die Listen. Er hatte keine Ahnung, dass sie gefälscht waren.«
»Wusste Karl von dem Verhältnis zwischen Rita und Ihrem Mann?«
»Nein. Karl war gerade von der Handelshochschule nach Hause gekommen und Andreas Fjeld wollte um keinen Preis, dass jemand davon erfuhr.«
»Auch Sverre nicht?«
Sie schüttelte den Kopf. »Wir haben darauf geachtet, ihn da rauszuhalten.«
Eira fasste sie vorsichtig am Arm, als fürchte er, dass sie sich inLuft auflösen und ihre Geheimnisse für immer mitnehmen würde. »Welche Schulden müssen Sie Ihrer Meinung nach begleichen?«
Sie löste ihren Arm aus seinem Griff. »Als der Brand unten am Hafen ausbrach, war Oscar noch im Büro. Später breiteten sich die Flammen aus, und auch Karl kam dorthin.«
Sie holte zitternd Luft und setzte wieder zum Sprechen an. Ihre Stimme war leise und bebte. Eira befürchtete, Gunhild könne jeden Moment anfangen zu weinen. »Oscar wurde in jener Nacht getötet. Jemand hat die Tür abgeschlossen, sodass er sich nicht mehr nach draußen retten konnte.«
Gunhild sah Eira an, als hätte sie seine Gedanken gelesen, und schüttelte den Kopf. »Nein, Eira. Sie werden mich nie dazu bringen, das vor Gericht zu erzählen.«
»Mit anderen Worten: Karl hat Oscar getötet?«
»Darüber will ich nicht sprechen. Die Sache ist abgeschlossen. Karl ist tot.« Gunhild blickte Eira starr ins Gesicht.
»Eben. Karl kann weder bestätigen noch dementieren … Woher wissen Sie überhaupt, was da drinnen passiert ist?«
Sie fixierte ihn weiterhin. »Ich weiß es, weil ich Sverres Mutter bin, Eira. Er hat mir damals erzählt, was er gesehen hat. Mein Sohn war in dieser Bruchbude und hat alles mitbekommen, bis der Rauch so dicht wurde, dass Sverre die Orientierung verlor und seine Kleidung Feuer fing.«
Eira grub seine Hände tiefer in die Taschen und fühlte, wie sich alle Muskeln seines Körpers zusammenzogen. Vor lauter Verblüffung brachte er kein Wort mehr heraus.
Was ging hier vor? Sverre hatte doch, ganz anders als nun seine Mutter, behauptet, er habe keine bildhafte Erinnerung an die Brandnacht. Lediglich Ritas Stimme komme ihm in diesem Zusammenhang wieder in den Sinn, was er jedoch nicht beschwören würde.
Nun konnte es Eira nicht mehr egal sein, wie gut das Verhältniszwischen Mutter Gunhild und Sohn Sverre war. Die beiden machten widersprüchliche Äußerungen. Sverre hatte im Gegensatz zu seiner Mutter durchblicken lassen, er habe wegen der schrecklichen Ereignisse vor fast vierzig Jahren keine Ambitionen, seine Mutter überhaupt nur zu treffen. Wie konnte Gunhild da behaupten, dass sie ausgerechnet in jenen schwierigen Tagen nach dem Brand von 1969 seine Vertraute gewesen sei?
Während sie einander schweigend
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