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Im Auge des Orkans

Im Auge des Orkans

Titel: Im Auge des Orkans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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ihren Arm weg und redete
heftig auf sie ein. Sie schüttelte den Kopf und packte wieder den Ölmantel.
Nach einem Moment des Zögerns ließ er ihn sich abnehmen. Angela gab ihn Denny.
Großvater und Enkelin hielten eine kurze Beratung ab, dann wandte sich Angela
zu uns um und erklärte: »Mein Großvater ist hergekommen, weil er mich dringend
sprechen muß. Wenn ihr uns jetzt entschuldigen wollt.«
    Während sie auf die Treppe zugingen,
die ins Untergeschoß führte, sagte ich: »Augenblick noch!«
    Sie drehten sich um — Angela
ungeduldig, ihr Großvater neugierig. Dann erkannte er mich und verzog das
Gesicht zu einem kleinen ironischen Lächeln.
    »Mr. Won«, sagte ich, »als Sie eben
rüberkamen, haben Sie die Fähre selbst bedienen müssen.«
    »Ja. Ich habe lange gehupt, aber
niemand ist erschienen. Eine Delta-Fähre zu bedienen, ist nicht so schwierig,
Miss McCone. Die meisten, die hier aufgewachsen sind, können es.«
    »Ach so.«
    »Wenn das alles ist — dürfen wir dann
gehen, Sharon?« Angelas Stimme klang kühl, ein leichter nervöser Unterton
schwang mit. Ich beobachtete, wie sie die Treppe hinunter verschwanden. Dann bemerkte
ich, wie Sam mir einen fragenden Blick zuwarf. Was nun, schien er zu besagen.
    Ehe ich sprechen konnte, erklang
Stephanies rauhe Stimme von irgendwo hinter mir. »Was soll das Ganze? Der
Großvater hat Angela hier noch nie besucht.«
    »Wahrscheinlich ein Familienproblem«,
meinte Patsy. »Ich glaube nicht, daß es uns etwas angeht.« Ihre Stimme klang
rauh vor Erschöpfung und Anspannung. »Im Augenblick ist Sharons Gesundheit
wichtiger. Wir brauchen einen Arzt — und holen wohl besser auch den Sheriff.«
    »Bin schon unterwegs«, sagte Denny
rasch. »Jetzt, da die Fähre hier liegt, geht es viel schneller.« Er ging zur
Tür hinaus. Ehe er sie schloß, konnte ich den Regen draußen schwach rauschen
hören. Offenbar hatte er nachgelassen.
    Neal inspizierte immer noch die Flecken
auf dem blauen Teppich. »O Gott!« rief er. »Hoffentlich ist er nicht verdorben!
Das Essen ist verdorben! Alles ist verdorben, o Gott!«
    Einen Augenblick lang dachte ich, Sam
würde seinen Bruder schlagen. Doch statt dessen strich er sich über seinen
Schnurrbart und tat einen tiefen Atemzug. Dann trat er zu Neal und legte ihm
den Arm um die Schultern. »So schlimm ist es nicht, mein Lieber. Nichts ist
verdorben.«
    »Alles ist hin!« Neals Stimme klang
leer.
    »Unsinn. Wir haben schon Schlimmeres
durchgestanden.«
    »Wirklich?«
    »Erinnerst du dich, als Mom und Dad
starben? Damit sind wir auch fertig geworden — gemeinsam.«
    »Aber ich — «
    »Seht!« Sam klang wie ein Vater, der
seinen kleinen Sohn tröstet. »Aber Sam — das Essen ist verdorben.«
    »Das bezweifle ich. Es ist noch alles
da.« Sam sah Evans an.
    Evans ließ Patsy los, die er im Arm
gehalten hatte, und stand energisch auf. »Nichts ist verdorben, Neal. Du und
ich, wir sollten uns jetzt darum kümmern, daß das Essen in einer halben Stunde
auf den Tisch kommen kann.«
    Auf Neals rundem Gesicht regte sich ein
Hoffnungsschimmer. Evans lächelte ihm aufmunternd zu und deutete in Richtung
Küche. Sam stieß einen Seufzer aus und marschierte zum Getränkewagen.
    Ich lehnte mich in meinem Deckenkokon
zurück. Alle Muskeln meines Körpers taten mir weh. Kopf und Kinn schmerzten
heftig. Ich hatte immer noch das Gefühl, nicht ganz da zu sein. Häufig
verschwamm mir die Umgebung vor den Augen. Trotz des Feuers im Kamin war es im
Zimmer sehr kalt. Ich nieste.
    Patsy beugte sich über mich und spähte
mir ins Gesicht. »Bleib liegen!« befahl sie überflüssigerweise. »Bin gleich
wieder da.«
    Ein paar Minuten später erschien sie
wieder, vier große weiße Kapseln in der Hand. »Nimm die!«
    »Ich will keine Schlaftabletten. Ich
bin schon erschöpft genug. Außerdem will ich mit dem Sheriff reden...«
    »Es ist Vitamin C. Sie werden dich
stärken, bis der Arzt eintrifft — ein Zaubermittel.«
    »Ich brauche keinen Arzt. Ich will den
Sheriff sprechen.«
    »Sie werden beide kommen. Nimm das
Vitamin C!«
    Ich hasse es, Befehle zu bekommen. Ich
habe deswegen schon mehrmals meinen Job verloren.
    »Ich muß sie mit was runterspülen«,
brummte ich mürrisch.
    »Ich hol dir Wasser.«
    »Nein, Brandy!« sagte ich und lehnte
mich zurück, um auf den Sheriff zu warten.
     
    Der Hilfssheriff hieß Benjamin Ma. Er
war Chinese, hatte dichtes schwarzes Haar, das ihm in die Stirn fiel, und ein
rundes, jungenhaftes Gesicht. Er konnte fünfundzwanzig,

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