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Im Auge des Orkans

Im Auge des Orkans

Titel: Im Auge des Orkans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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aber auch vierzig Jahre
alt sein. Der Sicherheit seines Auftretens nach zu urteilen war er nicht mehr
ganz jung.
    Er trug einen Regenmantel wie Tin Choy
Won, nur war der seine dunkelblau. Er trat sich die Füße sorgfältig auf dem
Lappen ab, den Patsy Neal zu Gefallen hingelegt hatte, und reichte Stephanie
sein nasses Ölzeug, als sei sie das Dienstmädchen. Stephanie rümpfte hinter
seinem Rücken die Nase und verschwand damit in Richtung Küche.
    Während er durch das Wohnzimmer auf
mich zukam, dachte ich, daß Mas schwere Arbeitsstiefel, sein Wollhemd und die
Jeans ihn in dieser eleganten Umgebung fehl am Platz erscheinen ließen. Doch
dann erkannte ich, daß Ma für das Delta besser gerüstet war als das Herrenhaus
und seine Dekoration. Seine Art, sich zu kleiden, verriet, daß er sich der
Unberechenbarkeit der Elemente sehr wohl bewußt war. Sein fester Schritt und
die zuversichtliche Gelassenheit, mit der er sich bewegte, ließen erkennen, daß
er mit ihrer Gefährlichkeit sehr wohl umgehen konnte. Alles in allem wirkte der
Raum in seiner Gegenwart dumm und leblos.
    Er lehnte den weißen Sessel ab, den
Patsy ihm anbot, zog statt dessen einen dunkelblauen Hocker zur Couch und
setzte sich. »Okay, Miss McCone«, begann er. »Mr. Kleinschmidt hat mir kurz
berichtet, was Sie ihm und den anderen erzählt haben. Und daß Sie ein
Privatdetektiv aus San Francisco sind. Sie haben mich in meiner dienstfreien
Zeit und bei diesem Sturm aus meinem Haus gelockt — da muß Ihre Geschichte
schon besonders gut sein.«
    Ich mag keine großsprecherischen
Polizisten, die sich beweisen müssen, nur weil ich Privatdetektiv bin. Aber ich
spürte, daß Mas Haltung mehr mit der Tatsache zu tun hatte, daß man ihn von
seinem eigenen gemütlichen Kamin weggeholt hatte, als mit meinem Status. »Ich
danke Ihnen, daß Sie gekommen sind, Hilfssheriff«, sagte ich deshalb nur. »Und
was ich Ihnen zu erzählen habe, ist wirklich eine gute Geschichte — wenn Sie
Geduld haben. Ich bin müde und habe überall Schmerzen und fühle mich etwas
schwach. Doch wenn Sie mich sie langsam erzählen lassen, ergibt alles einen
Sinn.«
    Er nickte. Und ich berichtete. Ma
nickte verschiedentlich, stellte gelegentlich eine fachmännische Frage, aber
sonst unterbrach er mich nicht.
    Als ich geendet hatte, wurde mir die
entsetzliche Stille bewußt, die im Raum herrschte. Jetzt glaubten mir auch die
anderen. Ma schwieg eine Weile nachdenklich. Dann meinte er: »Sie haben recht,
es ist wirklich eine glaubwürdige Geschichte, Miss McCone. Ich danke Ihnen, daß
Sie so offen zu mir waren. Ich werde mir die Anlegestelle und die Hütte
ansehen. Auch Shorkeys Laster. Möglicherweise ist seine Leiche damit
weggeschafft worden und nicht per Boot, wie Sie annehmen. Dann können wir ihn
vielleicht finden. Doch wenn er tatsächlich mit einem Boot ausgesetzt wurde,
haben wir bei diesem Wetter kaum eine Chance.«
    »Aber der Regen hat doch aufgehört. Als
Sie eintraten, habe ich es nicht mehr rauschen gehört.«
    »Im Augenblick wohl. Aber das Wasser
ist sehr bewegt, das Boot kann weit getrieben sein. Die Leiche kann lange Zeit
nicht auftauchen.« Ma sah Denny an. »Sie sagten, Shorkey wohnt in der Hütte?«
    »Ja. Aber er hat eine Frau in Walnut
Grove.«
    »Wir sprechen mit ihr. Und werden auch
feststellen, ob er Feinde hatte.«
    »Aber ich sagte Ihnen doch«, warf ich
ein, »daß sein Tod mit den Schwierigkeiten zusammenhängt, die sie hier auf der
Insel haben — «
    »Vielleicht. Aber es ist nur eine Vermutung.«
    Er hatte recht. Max’ Mörder war ein
großer Mann, aber das heißt nicht unbedingt, daß er auch derjenige war, der den
»Geist« gespielt hatte. Ich hatte es nur vermutet, weil mir der Gedanke gefiel
und weil die Geschichte so ordentlich aussah.
    »Aber was ist«, sagte Patsy, »wenn
Sharon recht hat und der Mörder tatsächlich etwas gegen uns hat?«
    »Das werden wir auch nachprüfen.«
    »Ich meine damit nur — wie sicher sind
wir hier?«
    Ma schwieg. Sein Gesicht legte sich in
mitfühlende Falten. Er sah jetzt wirklich mehr wie vierzig aus.
    »Ich kann Ihnen keinen Schutz
anbieten«, antwortete er, »wenn Sie darauf hinaus wollen. Wir sind nur eine
kleine Hilfsstation mit einem großen Gebiet, um das wir uns kümmern müssen. Und
offen gestanden haben wir bei diesem Wetter sowieso alle Hände voll zu tun.«
    Patsy ließ einen mißbilligenden Ton
hören.
    Ma lächelte beruhigend. »Sie brauchen
sich keine Sorgen zu machen, jedenfalls nicht heute abend.

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