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Im Auge des Orkans

Im Auge des Orkans

Titel: Im Auge des Orkans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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weg und stützte mich auf den einen
Ellbogen auf. »Was — das Telefon ist tot?« fragte ich.
    Evans nickte.
    »Dann muß jemand hinüberrudern, um den
Sheriff zu holen.«
    »Den...« Patsy blickte Evans an. Es war
klar zu erkennen, daß beide dachten, ich halluzinierte.
    »Den Sheriff«, wiederholte ich nachdrücklich.
»Ich nehme an, die Insel gehörte rechtlich gesehen zum County.«
    »Hm, ja«, sagte Denny.
    »Gut. Dann alarmiert die nächste
Station.«
    »Warum?« fragte Sam.
    »Weil Max Shorkey ermordet wurde.«
    Alle schwiegen betreten und machten
ungläubige Gesichter. Offensichtlich dachten sie, ich sei nicht mehr ganz
richtig im Kopf. »Woher wissen Sie das?« fragte Sam schließlich.
    »Ich habe seine Leiche gesehen, bei der
Anlegestelle der Fähre. Er lag auf der Rampe, und ein Mann — ich glaube, es ist
der, der die Arbeiter erschreckte — versuchte, ihn wegzuschaffen. Als er mich
sah, lief er weg, und als ich ihn verfolgte, schlug er mich bewußtlos. Er
packte mich ins Boot, entfernte den Reservekanister und die Schwimmweste, zog
den Stöpsel aus dem Abflußloch und schob mich in die Strömung hinaus, damit ich
ertrinken sollte.« Das klang nicht nach dem hysterischen Geplapper einer
fieberkranken Frau, trotzdem sahen alle zweifelnd drein.
    »Hören Sie, Sharon«, sagte Denny
unbehaglich, »ich möchte Ihnen Ihre Idee nicht ausreden, aber als Steff und ich
gegen halb acht Uhr drüben waren, lag keine Leiche auf der Rampe. Es war kein
Mensch da.«
    Ich schwieg eine Weile. »Dann hat der
Mann sie weggebracht, nachdem er mich ins Boot setzte.« Ich schob eine Hand aus
meinem Deckenkokon und machte Patsy ein Zeichen, sie solle mir das Brandyglas
geben. Ich trank einen Schluck.
    Sam runzelte nachdenklich die Stirn. Er
war wohl der einzige, der mir halbwegs glaubte. »Wie ist er die Leiche
losgeworden?« fragte er.
    »Warum, glauben Sie, ist auch das
andere Motorboot verschwunden?«
    Sein Gesicht war einen Augenblick ganz
still, dann nickte er. »Gehen Sie lieber den Sheriff holen«, sagte er dann zu
Denny.
    Neal schob sich nach vorn. »Augenblick
mal, Sam. Wer hat hier die Verantwortung? Das ist mein Haus. Es ist an mir, den
Sheriff zu holen.« Er schwieg heftig atmend. »Falls wir ihn holen.«
    »Offensichtlich hat Sharon etwas
gesehen, das von der Polizei überprüft werden sollte.«
    »Sie ist hysterisch.«
    »Sieht sie so aus?«
    »Außerdem ist es an mir, Befehle zu erteilen. Ich sage, wer hier was tut! Ich müßte den Sheriff holen. Denny
ist nur der Baufachmann.«
    Sams Stimme klang erschöpft. »Die Fähre
liegt auf der anderen Seite des Wassers. Kannst du ein Boot rudern, Neal?«
    »Nein, aber — «
    »Denny schon. Und ich finde, er sollte
sich sofort auf den Weg machen.«
    »In Ordnung.« Denny schien froh zu
sein, verschwinden zu können. Ehe er noch seine Windjacke angezogen hatte,
legte Angela plötzlich den Kopf schief und sagte: »Was ist das?« Wir sahen sie
fragend an. »Ich höre eine Hupe, drüben, auf der anderen Seite.«
    »Ich kann nichts hören«, erklärte Neal.
    »Ich schon.« Patsy stand auf.
    Jetzt hörte ich sie auch. Eine Wagen-
oder Lasterhupe, die jemand hartnäckig ertönen ließ. Nach etwa zehn Sekunden
hörte sie auf, und kurz darauf wurde der Motor der Fähre angelassen.
    Patsy und Sam liefen zu den Fenstern an
der Vorderseite. Die anderen sahen mich an. »Ich denke, Max ist tot, Sharon«,
sagte Angela.
    »Ist er auch.«
    »Wer kommt dann mit der Fähre rüber?«
Ihre sorgfältig nachgemalten feinen Augenbrauen wölbten sich triumphierend in
die Höhe. Ihre Lippen verzogen sich zu einem unangenehmen Lächeln.
    In diesem Augenblick haßte ich sie. Ich
haßte sie, weil ich wußte, daß sie zu den Leuten gehörte, die die Schwäche oder
Unsicherheit eines anderen ausnützten, um zu beweisen, daß sie recht hatten.
     
    Wie sich herausstellte, war es Tin Choy
Won, Angelas Großvater, der die Fähre bedient hatte. Er trug schweres gelbes
Ölzeug. Trotzdem war er durchweicht, als er in die Empfangshalle hereinkam und
Wasser und Schmutz auf den blauen chinesischen Teppich verteilte. Er hustete
rauh. Denny, der hinausgegangen war, um ihn zu holen, trat nach ihm ein und
richtete ähnlichen Schaden an. »Der Putzlappen, Patsy!« rief Neal, vorstürzend.
»Wo ist der Putzlappen, um Gottes willen?«
    Da eilte Angela herbei und schob Neal
zur Seite. »Großvater!« rief sie, und dann sprach sie nur noch chinesisch mit
ihm. Sie versuchte, ihm das Ölzeug abzunehmen.
    Der Alte schob

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