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Im Auge des Orkans

Im Auge des Orkans

Titel: Im Auge des Orkans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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fand!
Falls das Boot nicht kenterte! Die Nacht war noch immer schrecklich dunkel,
nirgends ein Licht. Und keine markanten Punkte, die mir bei der Navigation
hätten helfen können. Nur die feine Baumzeilensilhouette in der Ferne. Ich zog
den Starter des Außenbordmotors. Er wollte nicht anspringen. Er stotterte und
hustete. Kein Treibstoff. Ich tastete unter dem Sitz nach dem Reservekanister.
Nicht da. Auch die Schwimmweste nicht. Ich trieb in einem halbvoll gelaufenen
Boot auf einem unbekannten Wasserarm und hatte nicht einmal eine Schwimmweste.
Ohne...
    In Panik tastete ich wieder auf dem
Schiffsboden umher, fand das Ruder. Ich packte es und lotete die Wassertiefe
damit aus. Es stieß nicht auf Grund. Mutlos ließ ich es auf den Schiffsboden
gleiten. Der Wind war viel heftiger geworden, das Boot drehte sich und
schaukelte stärker. Ich schloß die Augen und sank in mich zusammen, eine Welle
der Übelkeit bekämpfend. Als sie vorüber war, starrte ich wieder zu den fernen
Bäumen, ob ich nicht doch irgend etwas entdeckte, das mir verriet, wo ich war.
    Der Wasserarm erschien mir jetzt
schmaler, die Strömung schneller. Unregelmäßig geformte Gegenstände tauchten an
der Wasseroberfläche auf. Das Boot scharrte gegen eines, und ich sah, daß es
ein Haufen alter Zweige war, die sich in einer Sandbank verfangen hatten. Das
Boot blieb einen Augenblick darin hängen und riß sich dann los. Es wackelte
bedenklich.
    Ich holte wieder das Ruder heraus und
wartete auf den nächsten Haufen Zweige, um mich damit daran festzuhalten. Als
er auftauchte, holte ich mit dem Ruder aus, aber die Strömung war zu stark, und
es wurde mir von einer Astgabel aus der Hand gerissen.
    Ich schrie verzweifelt auf und sank auf
die Knie, während das Boot herumschwang und in der entgegengesetzten Richtung
weitertanzte. Es rammte einen Pfahl, der aus dem Wasser ragte, und ich wurde
gegen die Bootswand geschleudert. Als ich mich gefangen hatte, entdeckte ich, daß
noch mehr Pfähle oder Pfeiler da waren. Sie mußten von der früheren
Transportbahn stammen.
    Das Boot rammte einen anderen Pfahl.
Beinahe wäre ich über Bord gegangen. Ich klammerte mich an den Bootsrand und
spähte zum Ufer. Es schien nicht mehr so weit weg zu sein. Etwa zehn Meter. Die
Strömung war sehr stark. Sollte ich es wagen?
    Das Boot riß sich vom Pfeiler los,
schlug einen wilden Haken und prallte gegen einen anderen. Und plötzlich war
ich im Wasser.
    Es war eisig. Ich keuchte vor Schreck,
schluckte Wasser und mein Kopf ging unter. Ich trat mit den Füßen, um Grund zu
finden — nichts. Die Strömung zerrte mit aller Kraft an mir.
    Ich schoß mit dem Kopf zur Oberfläche.
Ich wischte mir das Wasser vom Gesicht und blickte mich um. Das Boot war nicht
mehr auszumachen, aber vor mir ragte ein bösartig aussehendes verdrehtes
Eisenstück aus dem Wasser. Ich trat wie wild um mich und begann zu kraulen. Ich
verfehlte das Eisending nur um ein paar Zentimeter.
    Ich kraulte weiter, doch die Strömung
trug mich mehr parallel zum Ufer, ich kam nicht näher. Die Kälte des Wassers
war betäubend, Tennisschuhe und Kleidung zogen mich nach unten. Ich schluckte
wieder Wasser, meine Lungen fühlten sich an, als würden sie jeden Augenblick
explodieren. Das Blut klopfte mir im Kopf, im einen Bein bekam ich einen
Krampf.
    So ist es, wenn man stirbt, dachte ich.
    In der Strömung war plötzlich ein
Wirbel, weil sie um ein Gewirr aus Ästen herumführte, und ich wurde mit dem
Oberkörper auf das Hindernis geschleudert. Mit der wenigen Kraft, die mir noch
geblieben war, breitete ich die Arme aus und klammerte mich fest. Keuchend hing
ich da und umarmte es wie ein Kind die Mutter nach einem Alptraum. Ich hörte
auf, Wasser zu treten, und ließ die Beine hängen.
    Und spürte Boden unter den Füßen.
    Nie zuvor war mir Erde so willkommen
gewesen. Trotzdem blieb ich noch eine Weile in den Ästen hängen, bis ich mich
etwas erholt hatte. Erst dann watete ich, mich von Pfeiler zu Pfeiler ziehend,
ans Ufer. Einmal verfing sich mein Fuß in irgendeinem Eisenstück, und ich
verstauchte mir den Knöchel.
    Erst oben auf dem Deich brach ich
zusammen und streckte Arme und Beine von mir, ohne auf Schlamm und Regen zu
achten. Ich würde mich ein wenig ausruhen und dann quer über die Insel zum
Herrenhaus marschieren...
    Einen Augenblick später begann ich,
zurückzudenken — an die Anlegestelle, an Max’ Leiche und den großen Mann. Mir
war jetzt klar, was geschehen war. Ich war auf den Zement gestürzt

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