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Im Auge des Orkans

Im Auge des Orkans

Titel: Im Auge des Orkans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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keine Probleme geben. Das heißt, wenn Sie alle gute Freunde
bleiben und in der schlimmen Zeit am selben Strang ziehen.«
    Es entstand ein Schweigen.
    »Und die andere Seite der Medaille,
Hilfssheriff?« fragte ich. »Die Evakuierung?«
    Er sah mich verständnisvoll an. Auch er
hatte die emotionale Spannung im Raum gespürt. »In diesem Fall sollten Sie
heute abend die Insel verlassen. Das Boot ist da. Die Insel wird den Sturm
überstehen, und wenn das Herrenhaus oder die Nebengebäude Schaden erleiden...
nun, Sie dürften versichert sein.« Keiner sagte einen Ton. Alle machten
nachdenkliche Gesichter. Ich wartete. Schließlich war ich ein Außenseiter. Aber
offensichtlich wollte niemand den Vorreiter spielen, und so meinte ich: »Das
ist eine Entscheidung, auf die wir im Augenblick nicht vorbereitet sind.«
    »Es muß nicht sofort sein. Wir
patrouillieren die Wasserwege und können es so einrichten, daß wir in ein paar
Stunden wieder hier vorbeikommen. Man bereitet bereits Notunterkünfte vor — in
Walnut Grove und Rio Vista. Dort sind Sie willkommen. Also, bis dahin müßten
Sie sich entscheiden. Danach kann ich nichts mehr für Sie tun.« Er wandte sich
um und verschwand im Regen.
    Die Tür fiel hinter ihm ins Schloß, das
Schweigen wuchs. Der Regen trommelte gegen die Fenstertüren, der Wind heulte im
Kamin.
    Patsy seufzte. »Also, was machen wir?«
    »Wir müssen an die Sicherheit der
Kinder denken«, meinte Evans.
    »Das ist meine Insel«, sagte Neal. »Ich
gehe nirgends hin.« Das klang endgültig.
    »Ich muß immerzu an Franks Tract
denken«, sagte Patsy leise. »Das war gutes Farmland und wurde in den dreißiger
Jahren überschwemmt. Wir sind mal drübergefahren. Man kann noch die Ackergeräte
im Wasser sehen. Ich kam mir vor wie auf dem Friedhof.«
    Ich sah zu Andrew hinüber, der sehr
aufmerksam zuhörte. »Und?« fragte ich.
    »Wenn das nun hier passiert?«
    »Höchst unwahrscheinlich.« Es war keine
richtige Lüge, weil ich nicht wußte, was möglich war und was nicht.
    »Aber wenn doch? Wenn der Deich
bricht?«
    »Wenn du davor Angst hast, mußt du weggehen.«
    Denny stand brüsk auf. »Ehe wir irgend
etwas entscheiden, sollten wir die Fähre an Land holen. Was meinst du, Steff?«
    »Ja. Es wird schon dunkel. Je früher,
desto besser.«
    Während sie hinausgingen, blickte ich
auf meine Uhr. Es war noch nicht drei, aber das Tageslicht draußen hatte schon
den rosigen Schimmer der Abenddämmerung. Ich überlegte, wie die Evakuierung
aussehen würde. Wir würden mit dem Polizeiboot zu einer warmen Schutzunterkunft
mit vielen Leidensgenossen fahren. Und ich überlegte, ob ich hierbleiben
sollte, in diesem kalten, zugigen Haus mit einer Gruppe von fremden und oft
unangenehmen Leuten. Der eine Ort bedeutete Sicherheit und Kameradschaft, der
andere Meinungsverschiedenheiten, die gefährlich werden konnten, wenn sie
weiter Zunahmen. Ganz abgesehen von der Gefahr durch die Person, die offenbar
wollte, daß die Leute von der Insel verschwanden.
    Aber ich hatte keine Wahl. Ich war
hier, um eine Aufgabe zu erfüllen. Ich würde dorthin gehen, wohin die anderen
gingen.
    Da machte Angela zum erstenmal den Mund
auf. »Mein Großvater ist sehr krank«, sagte sie.
    »Dann solltest du mitfahren, damit er
ärztlich versorgt ist«, meinte Sam.
    »Du kennst diese Notunterkünfte nicht.
Aber ich. Dort hätte er es nicht viel besser als hier. Er könnte dort sterben
oder während der Fahrt im Boot.«
    »Dann bleib! Wir können ihn der Reihe
nach pflegen.«
    »Du gehst nicht weg?«
    »Nein.«
    »Warum?«
    Sam deutete auf Neal.
    Angela stand auf. »Ich geh den
Großvater fragen, ob er weg will oder nicht. Vielleicht kann ich ihn ins
Krankenhaus nach Rio Vista bringen.« Sie ging hinaus.
    »Patsy, was ist mit den Kindern?«
fragte Evans.
    Meine Schwester bewegte nur leicht den
Kopf an seiner Schulter, als sei sie zu müde, diese Frage zu entscheiden. Da
tauchte Andrew hinter der Lehne des Sofas auf und schob seinen Kopf zwischen
den von Evans und Patsy. »Mom? Evans? Macht euch wegen uns keine Sorgen.«
    Patsy rollte die Augen und blickte zu
ihrem Sohn auf. »Natürlich machen wir uns welche! Ein schlimmer Sturm zieht
herauf — «
    »Sag ihr, daß alles okay ist«, bat
Andrew Evans. »Ich kann mich um die Mädchen kümmern. Wir schaffen das schon.
Und da brauchst du dir nur Sorgen um Patsy zu machen.«
    Evans unterdrückte mit Mühe ein
Lächeln. »Du hältst die Mädchen bei der Stange, und ich kümmere mich um Mom?«
    »Ja.

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