Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Augenblick der Angst

Im Augenblick der Angst

Titel: Im Augenblick der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sarkey
Vom Netzwerk:
euer Auto ein, und dann bringt ihr mich zu meinem Geld. Und wenn ich mich weigere, ruft Anna die Polizei. So weit richtig?«
    Tom nickte.
    »Es dauert zehn bis fünfzehn Minuten, bis die Cops auf einen Notruf reagieren. Hast du irgendeine Vorstellung davon, wie lang einem zehn bis fünfzehn Minuten vorkommen können?«
    Toms Mund war staubtrocken, doch er wich nicht zurück. »Dadurch würdest du dem Geld keinen Schritt näher kommen.« Er verbarg seine bebenden Hände hinter dem Rücken. Damit stand und fiel ihr ganzer Plan – Jack musste vor allem anderen auf das Geld aus sein, egal wie groß sein Hass auf Anna und ihn auch war. Wenn sich diese Annahme als falsch herausstellte, konnte das hier schlimmer enden, als Tom es sich vorstellen wollte. »Lass mich nur sichergehen, dass Sara und Julian in Ordnung sind. Dann holen wir dein Geld.«
    Eine halbe Ewigkeit starrte Jack ihn wortlos an, bevor er die Achseln zuckte und in den Flur trat. »Komm rein.«
    Abgestandenes Licht sickerte durch die heruntergelassenen Rollos und verlieh der vertrauten Umgebung eine unheimliche Atmosphäre. Es roch intensiv nach Babypuder, aber nicht nur danach – daneben lag eine Art schwacher Brandgeruch in der Luft, den Tom nicht deuten konnte. Jack wies auf die geschlossene Schlafzimmertür. »Da drinnen.«
    Tom ging voraus. Ein Kribbeln lief über seinen Rücken – Jack war hinter ihm. Ruhig. Er hat keinen Grund, dich jetzt anzufallen. Er weiß, dass Anna die Polizei rufen wird, wenn er dir etwas antut, und er weiß auch, dass die Cops sehr schnell hier sein werden, wenn sie ihnen sagt, dass es um Jack Witkowski geht. Also bring es einfach hinter dich, und dann nichts wie raus hier. Jeder Schritt vorwärts ist ein Schritt raus aus diesem Haus.
    Er legte die Hand auf die Klinke und drückte die Tür auf. Das Schlafzimmer lag in verstaubtem, fahlem Licht, der merkwürdige Geruch wurde noch durchdringender. Tom wartete einen Augenblick, während sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Schwache Schemen verwandelten sich in ein breites Bett, in den riesenhaften Schrank, den er heraufgewuchtet hatte, in ein Gitterbett in der Ecke, in dem er Julians Umriss erkennen konnte.
    Hinter dem breiten Bett ragten zwei Beine hervor.
    Ohne überhaupt zu realisieren, dass er sich bewegte, machte Tom drei schnelle Schritte in das Zimmer hinein. Sara lag mit dem Gesicht nach unten auf einem Haufen Plunder, auf Postkarten und Büchern aus der herausgerissenen Nachttischschublade. In dem trüben Licht wirkte der Matsch aus Blut und Gewebe, der früher mal ihr Rücken gewesen war, beinahe schwarz.
    Hinter sich hörte Tom das Kratzen von Metall auf Leder, als Jack die Pistole zog. »War ein schöner Plan, Tom. Aber meiner ist noch schöner.«
     
    Anna hasste es, nichts tun zu können.
    Sonnenstrahlen tanzten auf dem Armaturenbrett. Sie verfolgte, wie Tom auf die Veranda trat, wie Jack sich nach vorne beugte und in ihre Richtung blickte, und unterdrückte den Impuls, sich zu ducken – die Bewegung hätte nur seine Aufmerksamkeit erregt. Als Kind hatte sie manchmal so getan, als würden ihre Augen Laserstrahlen aussenden, die alles zerschnitten und zerrissen, was in ihr Blickfeld kam. Jetzt, während sie sich in ihren Sitz drückte und nichts tun konnte außer warten und zuschauen, wünschte sie, sie hätte diese Laseraugen. Anna stellte sich vor, wie die gleißenden Strahlen die Windschutzscheibe durchschlugen und Jack aufspießten, wie das gebündelte Licht seine Haut aufschlitzte und seinen Kopf vom Körper trennte.
    In ihrem Gehirn jagte ein Gedanke den anderen, lauter mögliche Fallgruben, die ihren Plan scheitern lassen konnten. Die Fenster standen halboffen, aber die Veranda war zu weit weg, um zu hören, was Tom sagte. Sie konnte nur zuschauen, wie er die Hand mit dem Schlüssel sinken ließ – und nach einer langen Pause in den Hausflur trat.
    Anna erlaubte sich, wieder zu atmen. Gut. Sie hatten sich darauf geeinigt, dass Tom ihr ein Zeichen geben würde, falls Jack die Pistole zog. Die Tatsache, dass er aus freien Stücken reingegangen war, konnte nur bedeuten, dass es funktionierte.
    Aber das Schlimmste stand ihr noch bevor. Annas Handflächen waren verschwitzt, ihr Herz hämmerte, ihr Kopf schmerzte. Eine halbe Minute verstrich, dann noch eine. Tom trödelte sicher nicht herum, aber vielleicht musste er Sara beruhigen – und vor allem sicherstellen, dass sie nicht die Polizei rief. Also konnte es durchaus ein paar Minuten dauern.

Weitere Kostenlose Bücher