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Im Augenblick der Angst

Im Augenblick der Angst

Titel: Im Augenblick der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sakey
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Andererseits war jede Sekunde, die sie mit dem Anruf wartete, eine weitere Sekunde, in der Jack ihrem Mann wehtun konnte. Anna zählte die Atemzüge, das Handy in der Hand, den Daumen auf der Taste.
    Sie wollte die Taste gerade drücken, als es am Fenster klopfte. Anna drehte sich zur Seite und blickte in den Lauf einer Pistole.
     
    Für einen Moment bestand die Welt nur noch aus Einzelbildern  – nichts als Momentaufnahmen, die vor Toms Augen aufblitzten und wieder verschwanden. Die matschigen Überreste von Saras Körper, das freigelegte Körpergewebe, der Geruch, der von ihr aufstieg, ein feuchter, tierischer Geruch, wie von Kupfer, nur viel schlimmer. Dann erinnerte er sich an ihre Art zu lachen, wie sie dabei immer den Kopf zurückgeworfen hatte, und an ihre Umarmungen, die besten Umarmungen der Welt, wie fest sie sich immer an ihn gedrückt hatte, und als er sich unwillkürlich vorstellte, wie sich das jetzt anfühlen würde, rebellierte sein Magen, und etwas widerlich Bitteres glitschte seine Kehle hinauf, bis in seinen Mund und in die Nase. Er kämpfte gegen den Würgereiz, während seine Augen pausenlos Details registrierten, von denen er nichts wissen wollte: die Blutpfütze auf dem billigen Teppich, das zersplitterte Holz der Schublade, ein metallisches Blitzen unter dem Bett, von dem er nicht erkennen konnte, was es war.
    »Ist nicht leicht, was?«, sagte Jack hinter seinem Rücken. »Zu sehen, was wir wirklich sind. Du gehst durch dein Leben und denkst, du kennst jemanden, und dann … so was.« Er sog die Luft durch die Zähne ein. »Ich würde ja sagen, dass es mir leidtut, aber irgendwie ist es einfach nicht meine Schuld, oder?«
    Sara. Oh mein Gott, Sara. Urplötzlich kam ihm ein anderer Gedanke, und Tom wirbelte herum, stürzte auf das Gitterbett zu. Julian lag auf dem Rücken, mit offenen Augen, er bewegte sich nicht. Tief in Toms Innerem regte sich etwas, schüttelte sich etwas, als würde es zu einem übermächtigen, lautlosen Heulen ansetzen.
    Dann blinzelte der Junge und stieß ein Gurgeln aus, als er Tom entdeckte.
    »Dem Kleinen geht’s gut«, meinte Jack. »Was deine Schwägerin angeht … Sie wollte abhauen. Und, wie soll ich es ausdrücken … Sie hat sich für die falsche Richtung entschieden.«
    Tom drehte sich um und ging auf Jack los. Wenn es sein musste, würde er dieses verfickte Arschloch mit bloßen Händen zu Tode prügeln für das, was er Sara, was er Anna und ihm angetan hatte.
    Schneller, als Tom es für möglich gehalten hätte, riss Jack die Pistole hoch und richtete sie direkt auf seine Stirn. Gegen seinen Willen erstarrte Tom, seine unverletzte Hand ballte sich zu einer zittrigen Faust. Als er sprach, brachte er kaum mehr als Wortfetzen heraus. »Anna telefoniert gerade mit den Cops.«
    Lächelnd schüttelte Jack den Kopf. »Ich fürchte, da irrst du dich.«
     
    Adrenalin schoss durch Annas Adern und sie jaulte auf. Zu einem richtigen Schrei reichte es nicht, denn im ersten Moment war sie eher überrascht als irgendetwas anderes.
    Halden stand neben dem Auto und richtete eine Pistole auf sie, dieselbe Pistole, die bei jeder Begegnung ihre Augen auf sich gezogen hatte. Wie oft hatte sie sich inzwischen gefragt, wie es sein musste, diese Waffe in die Hand zu nehmen, hochzuheben und aufs Ziel zu richten – und jetzt blickte sie selbst in ihren Lauf.
    »Lassen Sie das Telefon fallen und steigen Sie aus«, sagte Halden.
    Sie sah ihn an und schluckte würgend herunter. »Sie verstehen nicht –«
    »Raus, verdammt nochmal!« Haldens Stimme duldete keinen Widerspruch. Anna griff automatisch nach dem Türöffner, während er einen Schritt zurücktrat, die Pistole weiter auf sie gerichtet. »Langsam!«
    »Detective. Detective, hören Sie. Tom ist in diesem Haus, mit … mit … Sie müssen hier verschwinden. Wenn er Sie sieht –«
    »Steigen Sie aus, drehen Sie sich um und legen Sie die Hände hinter den Kopf.«
    »Aber –«
    »Sofort !«
    Haldens Augen waren kalt – aus ihnen sprach nur noch sein Beruf. Anna begriff, dass sie für ihn zu einer Kriminellen geworden war, einer Verbrecherin, die in den Tod eines Cops verstrickt war. Schlimmer noch, sie war eine Frau, die ihn angelogen und ihm eine peinliche Niederlage zugefügt hatte. Die Erkenntnis ließ sie beinahe verzweifeln – nichts war sturer als ein Mann, der sich durch eine Frau erniedrigt fühlte. Trotzdem, Anna musste ihn beruhigen und ihm erklären, was in Saras Wohnung ablief. Jeden Moment konnten die

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