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Im Augenblick der Angst

Im Augenblick der Angst

Titel: Im Augenblick der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sakey
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sollen. Glaubst du wirklich, dass Will die Sache gegen drei Mann durchgezogen hätte?«
    »Der Bodyguard –«
    »Der Bodyguard hätte sich gar nicht erst bewegen dürfen. Das war dein Job !«
    Marshall schüttelte den Kopf. »Es läuft eben nicht immer, wie’s soll. Gehört zum Geschäft. Das weißt du doch, Mann.« Er machte eine Pause. »Außerdem war es nicht meine Idee, Bobby und Will allein loszuschicken.«
    Jacks Hand krampfte sich um den Hals der Bierflasche, bis er das Glas knacken hörte. »Fick dich.«
    »Ich mein ja nur –«
    »Ich weiß, was du meinst.« Jack nahm einen Schluck Bier, aber es schmeckte verfault. Vielleicht sollte er Marshall einfach die Flasche über den Schädel ziehen. Doch irgendetwas sagte ihm, dass Marshall Recht hatte, dass so ein Job nun mal ein gewisses Risiko mit sich brachte. Nur hätte es nicht ausgerechnet Bobby treffen dürfen. Ausgerechnet Bobby.
    Wieder sah er Will Tuttle vor sich, dieses Arschloch mit der seidig-weichen Stimme und der Siegeszigarette hinterm Ohr. Hass loderte in Jack auf. Marshall hatte Recht. Es war nicht sein Fehler, es war auch nicht Jacks eigener Fehler, nicht wirklich. Will war es, der abgedrückt hatte.
    Aus den Lautsprechern verkündete Mick Jagger, dass die Zeit auf seiner Seite sei – »Ti-ime is on my side, yes it is, ti-ime is on my side …«. Marshall schwieg. Jack nuckelte an seinem Bier, blickte auf die abgeschabte Theke und versuchte, das Gesicht seines Bruders heraufzubeschwören. Warum fiel ihm das nur so schwer? Alles zerfiel in Einzelteile: ein Lachen hier, ein Lächeln da, aber nichts Ganzes. Bobbys Geburtstage. Jack und Bobby zusammen im Auto. Oder damals, als er Maria Salvatore vom anderen Ende der Straße überredete, ihnen beiden einen runterzuholen, und dieser zwiespältige Ausdruck, der kurz davor auf Bobbys Gesicht lag, zur Hälfte Angst, zur Hälfte unerträgliches Verlangen. Damals war er vierzehn. Aber meistens sah Jack ihn nur vor sich, wie er eine geliehene Waffe in der Hand hielt und erklärte, dass er ein harter Kerl war.
    Marshall ließ die Knöchel knacken und räusperte sich. Seine Stimme klang lockerer – offenbar wollte er das Thema wechseln. »Weißt du, was ich mich schon immer gefragt habe?«
    »Was?«
    »Wie kommen zwei Polacken namens Witkowski zu den hübschen Vornamen Jack und Bobby?«
    »Durch meine Mutter.« Jack musste lächeln, als er sie sich vorstellte, wie sie beim Wäscheaufhängen vor sich hinsummte, in dem winzigen Hinterhof mit den Kräutern in großen Blumentöpfen, neben der Garage, von der schon der Putz abblätterte. »Sie war ein großer Fan der Kennedy-Brüder. Du weißt schon, der amerikanische Traum, das komplette Programm. Selbst wenn du aus ’ner armen Polenfamilie kommst – sofern du hart an dir arbeitest und gut in der Schule bist, stehst du eines Tages Seite an Seite mit den Kennedys.« Jack schnaubte. »Bobby meinte immer, dass sie Recht behalten hätte – wir haben es tatsächlich beide zu gut aussehenden Kriminellen gebracht.«
    Marshall lachte. »Mann, es tut mir leid, wirklich. Und wenn wir Will finden, wird es ihm erst recht leidtun.«
    Jack nickte und atmete tief ein, lehnte sich zurück und blickte aus dem schmalen Fenster. »Das Licht ist jetzt schon ’ne ganze Weile aus. Was meinst du?«
    »An die Arbeit.« Marshall stellte das Whiskeyglas ab. Diesmal war es leer.
     
    Hinter der Haustür lag ein schmaler Vorraum mit zwei Türen. Die eine führte in die Wohnung im Erdgeschoss, die andere zu den Apartments in den oberen Stockwerken. Jack warf einen Blick nach draußen, wo Marshall an einem Laternenpfahl lehnte, eine nicht angezündete Zigarette zwischen den Fingern. Kaum merklich schüttelte Marshall den Kopf. Jack verstand. Er ging hinüber zu den Briefkästen, holte seinen Schlüsselbund heraus und fummelte ungeschickt an einem der Schlösser herum, bis ein Ehepaar im besten Alter vorbeigeschlendert war, plaudernd und ahnungslos. Nach dreißig Sekunden blickte sich Jack wieder um. Jetzt nickte Marshall.
    Jack liebte Bolzenschlösser. Meist brauchte man nicht mal eine Minute, um sie aufzubrechen, und trotzdem fühlten sich die Leute sicher, wenn sie den Riegel vorgelegt hatten. Sie legten sich beruhigt schlafen, mit dem guten Gefühl, dass die Monster nicht zu ihnen ins Haus konnten.
    Die Tür schwang auf, und Jack trat ein, Marshall in seinem Rücken. Sie setzten die Fußballen auf die Kanten der Stufen, um möglichst wenig Lärm zu machen, während sie langsam

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