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Im Augenblick der Angst

Im Augenblick der Angst

Titel: Im Augenblick der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sakey
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Müllsäcken, Männer, die an Straßenecken herumhingen, Läden, die Räucherstäbchen und Haarverlängerungen verkauften. Anna kam nicht oft hierher. Direkt gefährlich war die Gegend nicht – es gab einfach nur wenig gute Gründe, ihr einen Besuch abzustatten. Aber was sie heute suchte, fand sie hier, an einer Ecke der Clark Street.
    Anna stellte das Auto vor einer Parkuhr ab und sah sich um – sie musste sicherstellen, dass sie nicht beobachtet wurde. Zwei Parkplätze weiter stand ein leeres Taxi. Ein Fußgänger wartete an der Ampel, blickte kurz zu ihr herüber, dann auf eine Reklametafel mit der Werbung eines Handyherstellers. Anna zog die Augen zusammen, aber der Mann schaute nicht wieder in ihre Richtung. Weiter die Straße runter ratterte die U-Bahn über eine Brücke und warf zitternde Schatten auf den grauen Asphalt.
    Seit zehn Jahren war Anna nicht mehr in einem Currency Exchange gewesen – zuletzt, als Sara mit ihrem damaligen Freund zu Besuch gewesen war, ehe sie in die Stadt zog. Damals hatten die beiden vergessen, ihre Gehaltsschecks einzuzahlen, bevor sie zum Flughafen eilten. Leider mussten sie so auf ihr halbes Getränkebudget für das Wochenende verzichten, was natürlich ein ziemliches Problem darstellte  – bis Tom vorschlug, einen Currency Exchange aufzusuchen.
    Damals waren sie in einem anderen gewesen, aber große Unterschiede schien es zwischen diesen Wechselstuben nicht zu geben. Außen grelle Blinklichter, innen ausgeblichenes Linoleum und viel zu helle Neonröhren. Ein Schalter mit einer zentimeterdicken Plexiglasscheibe davor, eine langsam schlurfende Schlange von Menschen, die aussahen, als wären sie lieber ganz woanders. Und eine Überwachungskamera an der hinteren Wand, die Anna immer nervöser machte. Sie holte ihre Sonnenbrille aus der Handtasche und setzte sie auf.
    Fünf Minuten später hatte sie es bis zum Schalter geschafft. Die gelangweilte Angestellte ließ eine Kaugummiblase platzen und fragte Anna, was sie wünschte.
    »Einen Cashier’s Check, bitte. Ausgestellt auf die Citibank.«
    »Wie viel.« Die Stimme der Angestellten war so monoton, dass man die Worte kaum als Frage erkannte.
    Anna warf einen Blick über die Schulter. »Fünfzehntausendvierhundertundzwölf Dollar. Und fünfundsiebzig Cent.«
    »Aber sicher, Lady.« Die Angestellte rollte die Augen und winkte dem Kunden hinter Anna. »Der Nächste.«
    »Warten Sie«, sagte Anna. »Gibt es irgendein Problem?«
    »Nur dass Sie verrückt sind.«
    »Warum sagen Sie das?«
    »Wollen Sie mich verarschen? Sie wollen einen Cashier’s Check über fünfzehntausendvierhundertzwölf Dollar?«
    »Und fünfundsiebzig Cent.«
    »Und wie wollen Sie das bezahlen?«
    Anna griff in ihre Handtasche und zog eineinhalb Bündel Hunderter heraus. Lächelnd legte sie die Scheine auf die Theke und sah zu, wie der Unterkiefer der Angestellten herunterklappte.
     
    Die Schrotflinte war eine Remington Tactical 870 mit Pistolengriff, geladen mit Drei-Zoll-Magnum-Patronen. Marshall gefiel sie. Auf diese Entfernung würde sie ein faustgroßes Loch in die Tür reißen und jeden zerfetzen, der zufälligerweise auf der anderen Seite stand. Wobei sie natürlich beide stundenlang halbtaub wären, wenn sie die Waffe in einem geschlossenen Raum abfeuerten.
    Jack klopfte. Gemeinsam starrten sie auf das Guckloch in »Bill Samuelsons« Tür und warteten. Sekunden verstrichen. Marshall bemerkte, dass es leicht nach Rauch stank. Jack klopfte nochmal und trat ungeduldig von einem Bein aufs andere. »Er ist nicht da.«
    In Jacks Stimme schwang ein wenig Enttäuschung mit, und das störte Marshall. Nüchtern betrachtet, war es gut, dass Will nicht zu Hause war. So würden sie Zeit haben, die Wohnung in Ruhe zu durchsuchen, und das Geld mit Sicherheit finden, wenn es denn hier war. Nicht, dass er was dagegen hätte, sich um Will zu kümmern – schließlich hatte der Typ auch ihn bestohlen –, aber man musste Prioritäten setzen. Marshall richtete die Schrotflinte auf die Tür. »Guck dir doch mal das Bolzenschloss an.«
    Dreißig Sekunden später schwang die Tür nach innen. Das Wohnzimmer war spartanisch eingerichtet: eine Lampe, ein Sessel, ein Fernseher auf einem Pressspanmöbel. Marshall ging voraus, überprüfte erst das Zimmer, dann den Flur. Er hörte, wie Jack hinter sich die Tür abschloss.
    Obwohl die Wohnung dieses unverwechselbare Gefühl der Leere ausstrahlte, bewegte sich Marshall vorsichtig. Im Schlafzimmer stand ein billiger Federrost

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