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Im Augenblick der Angst

Im Augenblick der Angst

Titel: Im Augenblick der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sakey
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können Sie sich das vorstellen? Dschingis Khan hat wirklich die ganze Welt erobert. Sein Leben lang hat er gekämpft. Am Schluss hatten die anderen Völker solche Angst vor ihm, dass sie schon die Waffen streckten, wenn sie nur hörten, dass er anrückte. Und was geschah dann?«
    Tom spürte den Puls in seinen Schläfen. Er sah sich um. Bis zum Ausgang waren es nur fünf Meter – aber zwischen ihm und der Tür saß ein kräftiger Schwarzer in einem kastanienbraunen Trainingsanzug. Vor ihm stand eine unberührte Schale Pommes, die großen, vernarbten Hände lagen reglos daneben. Und die müden, halbgeöffneten Augen fixierten Tom.
    »Wie ich sehe, haben Sie Andre bemerkt. Aber hören Sie mir eigentlich zu, Mr. Reed?«
    Irgendwie brachte Tom doch etwas heraus. »Was geschah dann?«
    »Nichts.« Der Mann zog die Augenbrauen hoch. »Gar nichts. Der Khan hieß die Völker in seinem Imperium willkommen. Natürlich nahm er ein paar Sklaven mit, forderte ein wenig Tribut. Aber im Großen und Ganzen konnten alle so weitermachen wie zuvor. Wenn sie allerdings Widerstand leisteten – nun, dann sah die Sache anders aus. Dann stampfte er ganze Städte in Grund und Boden. Dann brachte er jeden um, Frauen und Kinder eingeschlossen, ja sogar das Vieh. Dann salzte er die Böden, damit nichts mehr darauf wuchs. Und wollen Sie wissen, warum?« Er beugte sich vor. »Weil sie versucht hatten, den Khan durch ihren Widerstand schwach erscheinen zu lassen. Deshalb musste er im Sieg umso mehr Stärke zeigen. Jeder sollte wissen: Wer seinen Ruf, wer die Ehre des Dschingis Khan infrage stellt, der leidet. Und nicht nur der Angreifer selbst, sondern alle, die ihn lieben, alle, die ihm geholfen oder Unterschlupf gewährt haben. Alle.«
    Ein Teil von Tom wollte einfach sagen: Nehmen Sie das Geld, bitte, es tut mir leid, es tut uns leid, also nehmen Sie bitte das Geld und gehen Sie. Aber ihm klang noch in den Ohren, was der Mann über Schwäche gesagt hatte. Also versuchte er, mit fester Stimme zu sprechen – er durfte sich nicht verraten. »Was hat das alles mit mir und meiner Frau zu tun?«
    Der Mann legte die Fingerspitzen aneinander. Seine Augen zuckten kein einziges Mal, seine Stimme blieb ruhig. »Vor kurzem haben einige Männer meine Ehre infrage gestellt. Und wie ich eben zu erklären versucht habe – in der Welt, in der ich lebe, kann ich das nicht zulassen. Also brenne ich nun die Städte nieder, also salze ich nun die Böden. Verstanden?«
    Tom schluckte und nickte. Ein dicker Kloß bildete sich in seinem Hals.
    »Gut. Also. Ich werde Ihnen jetzt eine Frage stellen, und ich rate Ihnen, sich die Antwort gut zu überlegen.«
    Es ist so weit. Tom fühlte, wie sich eine Leere in seinem Inneren ausbreitete, eine Mischung aus Furcht, Trauer und Adrenalin. Vielleicht sollte es nicht so schmerzen, etwas aufzugeben, das ihnen von Anfang an nicht gehört hatte. Aber es würde schmerzen. Es würde ihnen das Sicherheitsnetz wegziehen, das sie so sehr genossen hatten. Es würde ihren Traum, doch noch ein Kind zu haben, zunichtemachen. Außerdem, fiel ihm plötzlich ein, hatten sie schon eine ganze Menge von dem Geld ausgegeben. Eine neue Welle der Angst überflutete ihn. Würde er den Mann überzeugen können, dass sie nur diese Summe und nicht mehr gefunden hatten? Wieder hörte er, wie der Fremde den Namen seiner Frau aussprach, wie er die beiden Silben betonte, als ob sie ihm gehörten, als ob er mit ihnen tun könnte, was er wollte.
    Dann sagte der Mann noch etwas anderes, und Tom fragte sich, ob er richtig gehört hatte.
    »Auf welcher Seite stehen Sie?«
    »Was?«
    »Ich hatte Ihnen geraten, gründlich nachzudenken. Sie sollten langsam damit anfangen. Denn Sie haben meinen Feinden Unterschlupf gewährt.« Er war in den Tonfall eines Priesters verfallen, der aus der Heiligen Schrift vorliest. »Mag sein, dass Sie tatsächlich sind, was Sie zu sein scheinen. Ein ganz normaler Mann. Dennoch: Sie haben meinen Feinden Unterschlupf gewährt, und allein dafür sollte ich Sie bestrafen, um meine Ehre zurückzugewinnen. Also, lassen Sie mich meine Frage wiederholen: Auf welcher Seite stehen Sie?«
    Tom atmete tief ein. Was für eine Antwort konnte diesen Mann zufriedenstellen? Alles, was ihm einfiel, war die Wahrheit. »Ich … wir stehen auf keiner Seite. Wir …« Er breitete die Arme aus und kehrte die Handflächen nach oben. »Wir haben nur eine Wohnung vermietet. Nichts weiter.«
    »Sie haben Ihre Wohnung an Will Tuttle

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