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Im Augenblick der Angst

Im Augenblick der Angst

Titel: Im Augenblick der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sakey
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hatte.
    Tom biss in das Roast-Beef-Sandwich und kaute genüsslich. Er liebte die knusprigen, scharfen Pfefferschoten inmitten der saftigen Masse von Fleisch und Brötchen. Mit fettglänzenden Fingern blätterte er in seinem Roman weiter. Tom saß in einem Mr. Beef, einer echten Chicagoer Institution. Leider war der Weg vom Büro zur nächsten Filiale etwas weit für seine Mittagspause – aber heute scherte er sich kein bisschen darum, wieder rechtzeitig hinterm Schreibtisch zu sitzen.
    Zuerst hatte er Anna innerlich für verrückt erklärt, da sie das Geld noch immer behalten wollte – trotz des Einbruchs. Doch merkwürdigerweise hatte ihn gerade der gestrige Zeitungsartikel beruhigt, der Will Tuttle mit dem Shooting-Star-Raub in Verbindung brachte. Das Geld war also tatsächlich gestohlen, und streng genommen war Tom jetzt wahrscheinlich ein schlechter Mensch, da er es dennoch nicht zurückgeben wollte. Aber wem hatte man es ursprünglich abgenommen? Einem Starschauspieler, der pro Film fünfzehn Millionen einsackte, sogar für diesen Schwachsinn mit dem Asteroiden, der neulich gelaufen war. Noch dazu hatten die Boulevardzeitungen von Anfang an spekuliert, dass der Star ein guter Kunde von Drogenhändlern war.
    »Ist hier noch frei?« Ein elegant gekleideter Schwarzer deutete auf den Stuhl gegenüber.
    Zwar ging die Mittagszeit gerade zu Ende, so dass genügend andere Plätze frei waren, aber Tom zuckte mit den Schultern. »Bitte.«
    Und wenn das Geld schon aus derart dunklen Quellen stammte, warum sollte es dann nicht bei ihnen landen? Lieber Anna und er als dieser verzogene Hollywood-Schnösel  – oder die Verbrecher, die diesen Affen überfallen hatten.
    Auf der anderen Seite des Tisches steckte der Mann seine silberne Krawatte vorsichtig zwischen den vierten und fünften Knopf seines orangen Hemds. »Ich liebe Hotdogs, aber sie sind nicht gerade leicht zu essen.«
    Tom ging nicht darauf ein, sondern tauchte ein Pommes frites ins Ketchup und warf es in den Mund. Insgesamt ernährte er sich ziemlich gesund, aber ab und zu brauchte man ein bisschen Fett.
    »Ja, so ist das«, fuhr der Schwarze fort. »Und schließlich kann niemand wollen, dass es eine Sauerei gibt. Oder was sagen Sie dazu?«
    Ohne aufzublicken, nickte Tom.
    »Eine Sauerei«, erklärte sein Gegenüber, während er das Brötchen zwischen seinen schlanken Fingern vor dem Mund schweben ließ, »ist das Zeichen eines ungeordneten Geistes. Und ein ungeordneter Geist ist ein Zeichen von Schwäche.«
    Tom steckte einen Finger zwischen die Buchseiten und klappte es zu. Eigentlich sah der Typ gar nicht so verrückt aus. Der Anzug wirkte teuer, offensichtlich maßgeschneidert, und der dünne Oberlippenbart auf der dunklen Haut verlieh ihm eine vornehme, gewichtige Ausstrahlung. Man hätte ihn für einen Unternehmer halten können, oder für einen Politiker mit ungewöhnlich gutem Geschmack.
    »Finden Sie nicht, dass ich Recht habe, Mr. Reed?«
    Was? »Woher …«
    »Finden Sie nicht auch, dass ein ungeordneter Geist ein Zeichen von Schwäche ist?«
    »Bitte entschuldigen Sie, aber … kennen wir uns?«
    »Wissen Sie, was das Problem mit Schwäche ist? Wenn Sie Schwäche zeigen, bieten Sie ihren Feinden eine offene Flanke. Stärke, nicht Schwäche, regiert die Welt. Wenn Sie stark sind, ist echte Gewalt kaum nötig. Die bloße Androhung reicht aus. Aber wenn das funktionieren soll, dürfen Sie keine Schwäche zeigen.« Der Mann biss in den Hotdog und kaute gemächlich, nahm dann eine Serviette und wischte sich sorgfältig die Finger ab. »Lieben Sie Ihre Frau, Mr. Reed?«
    Eine eisige Kälte glitt Toms Schenkel hinab, Angst und Wut rangen miteinander. Er entschied sich für das zweite, stand halb auf und sagte: »Bitte? Wer –«
    »Anna. Die wunderschöne Anna.«
    Vier Wörter. Vier Wörter, die ausreichten, um die Erde unter seinen Füßen beben, das ganze Restaurant zur Seite kippen zu lassen. Tom ließ sich auf den Stuhl zurücksinken. Seine Hände zitterten. Das Geld. Es ging um das Geld. Mein Gott. »Wer sind Sie?«
    »Meistens komme ich ja kaum zum Lesen. Ein Jammer«, seufzte der Mann. »Aber ich habe öfter geschäftlich in Los Angeles zu tun, und auf dem Flug vertiefe ich mich gerne mal in ein gutes Buch. Meistens geschichtliche Werke. Auf meinem letzten Rückflug von L.A. habe ich mich übrigens durch einen Wälzer über Dschingis Khan gearbeitet. Wirklich hochinteressant. Sein Reich war größer als das römische Reich zur Blütezeit –

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