Im Bann der Drudel (Auf der Suche nach dem magischen Buch) (German Edition)
zu lösen, vernichten. Die Drudel wäre auf immer verloren.«
Timothy erschauderte. Hatte das Buch nicht am Anfang gesagt, Enolas Sohn wäre der Verfasser? Wie hatte dieses Hexenbuch entstehen können, das doch, wie es schien, nach dem Weggang der Hexen zum magischen Leben erweckt worden war?
Enola musste ihr Versprechen gebrochen haben und in den Adern mancher Lemuren musste noch heute Hexenblut fließen, überlegte Timothy. Damit war die Drudel in unerreichbare Ferne gerückt. Die Drohung der Hexen hatte sich bewahrheitet: Kein Lemur konnte, weshalb auch immer, den Wald der Ahnen betreten. Wie waren Hartlefs Worte gleich gewesen? Nur greifen konnte ich danach nicht . Hartlef hatte die Drudel gesehen, aber er hatte nicht zu ihr gelangen können, was ihn schlussendlich in den Wahnsinn getrieben hatte.
Über seine Gedanken hatte Timothy zunächst nicht gemerkt, dass das Buch aufgehört hatte zu erzählen. Die letzte Seite aufgeschlagen, blickte es verschlafen in die Flammen des Kaminfeuers, bis Timothy sich räusperte.
»Wie ging es weiter, Buch?«
»Das war's«, antwortete das wieder griesgrämig wirkende Gesicht knapp. »Könnte mich bitte jemand zuklappen?«
Loo, der gebannt seinem Lieblingsmärchen gelauscht hatte, blickte regelrecht entsetzt drein. »Was war mit Enola?«, rief er aus. »Verliebte sie sich? Wer war ihr Gemahl? Lebte sie lange und glücklich? Das kann's doch nicht gewesen sein!«
»Entschuldigung«, gähnte das Buch. »Das war es fast: In Libro Veritas. So, jetzt ist aber Bettzeit, Kinder«, murmelte es selbstvergessen und schloss die Augen.
Vorsichtig klappte Timothy das Buch zu und sah Darius an, dessen Stirn sich in Falten gelegt hatte.
»Die Prophezeiung hat sich erfüllt«, sagte Timothy matt, dem plötzlich bewusst wurde, dass seine Aufgabe damit beendet war und er wieder in die obere Welt zurückkehren musste. In eine Welt, die ihm so farblos, so grau erschien, dass ihn der Gedanke daran schier zerriss. Wann würde er das Lemurische Reich verlassen müssen? Heute? Morgen? Jetzt gleich?
Das Gesicht in den Händen vergraben, murmelte er: »Die Drudel liegt also im Wald der Ahnen, wahrscheinlich unerreichbar. Es tut mir Leid, dass ich Euch letztendlich nicht weiterhelfen konnte.« Er zwang sich, Darius anzusehen. »Wann werde ich zurückkehren, nach oben, in meine Welt?«
»Die Prophezeiung hat sich erfüllt, das stimmt, Timothy«, erwiderte Darius nachdenklich, ohne auf die letzte Frage seines Schützlings einzugehen. »Aber nur ein Teil der Prophezeiung ist eingetreten.«
Timothy, der in die zuckenden Flammen des Kamins gestarrt hatte, sah erstaunt auf.
»Es hieß, ein Mensch würde den Weg zu der Drudel weisen, ja«, fuhr der Älteste fort. »Aber es heißt auch, dass der Erlöser die Drudel findet und die Lemuren damit in die Freiheit führt. Wenn es den Lemuren tatsächlich unmöglich ist, den Wald der Ahnen zu betreten, könnte es sehr wohl einem Menschen möglich sein, obgleich ich zugeben muss, dass ich immer gehofft hatte, selbst derjenige zu sein, der als Erster die Drudel in den Händen hält.« Darius zwirbelte verlegen an seinem Bart.
»Ihr meint, ich soll nach Zompan reisen?«, fragte Timothy mit klopfenden Herzen.
»Wie kommst du darauf, dass der Wald der Ahnen in Zompan liegt?«, erwiderte Darius erstaunt.
»Na ja, ich dachte, Zompan sei die erste Provinz gewesen, die nach der Verbannung gegründet wurde. Liegt er denn nicht dort?«
Darius wiegte nachdenklich den Kopf. »Der Wald der Ahnen … Noch ein Mysterium, das wir bisher nicht ergründet haben, Timothy. Ich habe schon ab und zu von ihm gehört, sicher. Er soll ein Hexenwerk sein, wie der Schrein der Gedanken, oder der Strigatusstab, aber bisher wurde er nicht gefunden, sofern überhaupt danach gesucht wurde! Aber ich selbst würde ihn wahrscheinlich auch in der Nähe von Zompan vermuten. Wie gern würde ich mit euch reisen …«, murmelte Darius mit sehnsuchtsvollem Lächeln und winkte den Gelbglunz herbei, der sofort begann, den Tisch abzuräumen. »Aber es wird Zeit für mich, Vorkehrungen zu treffen.« Darius erhob sich mit einem Ruck.
»Das heißt, Ihr schickt uns nach Zompan, Sir?«, fragte Timothy mit Blick auf seine Freunde.
»Anscheinend haben ich die Situation falsch eingeschätzt. Das Kristallisieren war nie eine Seuche und auch nur mit viel Interpretationsspielraum Teil der Prophezeiung. Es war Zyracc, der dieses überaus machtvolle Hexenwerkzeug eingesetzt hat, um sich die Gaben anderer
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