Im Bann der Dunkelheit
blickten aufmerksam umher und waren mit einer Intelligenz erfüllt, die unmißverständlich und zermürbend war.
»Viel Tod«, sagte Roosevelt noch einmal.
»Wer wird sterben?«
»Viele von uns.«
Rumpelmauser hielt meinem Blick stand.
»Katzen wissen viele Dinge«, sagte Roosevelt.
»Aber nicht alles.«
»Katzen sind wissend«, sagte Roosevelt mit Nachdruck. Die Augen der Katze schienen voller Trauer zu sein.
20
Roosevelt setzte Rumpelmauser auf einem Küchenstuhl ab, damit der Kater sich nicht die Pfoten an den Porzellanscherben verletzte, die noch über den Boden verstreut waren. Obwohl Rumpelmauser aus den Genlabors von Wyvern stammt und vielleicht genauso intelligent wie der gute Orson ist, zweifellos genauso intelligent wie der durchschnittliche Glücksrad-Kandidat und sicherlich intelligenter als die Mehrheit der Polizeiberater des Weißen Hauses während des vergangenen Jahrhunderts, ist er nichtsdestotrotz so sehr Katze geblieben, daß er sich sofort zusammenrollte und einschlief, auch wenn er das unmittelbar bevorstehende Ende der Welt vorhergesagt hatte und wir bei Sonnenaufgang wahrscheinlich alle nicht mehr am Leben waren. Katzen mochten viele Dinge wissen, wie Roosevelt behauptete, aber sie leiden zumindest nicht unter einer solch blühenden Phantasie oder derart blankliegenden Nerven wie ich.
Auch Roosevelt wußte über manche Dinge Bescheid. Er kennt sich mit Football aus, weil er in den Sechzigern und Siebzigern ein großer Feldspieler gewesen war, dem die Sportjournalisten die Bezeichnung Vorschlaghammer verpaßt hatten.
Mittlerweile, mit dreiundsechzig Jahren, ist er ein erfolgreicher Geschäftsmann, dem ein Herrenbekleidungsgeschäft, ein kleines Einkaufszentrum sowie größere Anteile am Moonlight Bay Inn und dem Country Club gehören. Er weiß auch eine Menge über das Meer und die Bootsfahrt, da er an Bord der siebzehn Meter langen Nostromo lebt, die am hintersten Liegeplatz des Jachthafens von Moonlight Bay vor Anker liegt. Und natürlich kann er sich besser mit Tieren verständigen als Dr. Dolittle, was hier im Edgar-Allan-Disneyland eine sehr nützliche Begabung darstellt. Roosevelt bestand darauf, uns beim Aufräumen der noch vorhandenen Unordnung zu helfen. Obwohl es ein eigenartiges Gefühl war, an der Seite eines Mannes, der ein nationales Denkmal und gleichzeitig ein Nachfahre des heiligen Franziskus war, Hausarbeiten zu erledigen, vertrauten wir ihm den Staubsauger an.
Rumpelmauser wachte vom Heulen des Staubsaugers auf, hob den Kopf gerade mal so lange, um sein Mißfallen mit einem raschen Entblößen der Zähne auszudrücken, und schien dann wieder einzuschlafen.
Meine Küche ist recht groß, wirkt aber auf einmal klein, wenn Roosevelt Frost sich darin aufhält, ganz gleich, ob er sich mit Staubsaugern beschäftigt oder nicht. Er ragt über einen Meter neunzig hoch auf, und die beträchtlichen Ausmaße von Hals, Schultern, Rücken und Armen lassen große Zweifel daran aufkommen, daß er in etwas so Beengtem wie einer Gebärmutter herangewachsen sein könnte. Eher scheint er aus Granit gehauen oder in einer Gießerei in Form gebracht oder sogar in einer Traktorenfabrik montiert worden zu sein. Er sieht erheblich jünger aus, als er tatsächlich ist. An den Schläfen ist er nur leicht ergraut. Seine großen Erfolge im Football hatte er nicht allein seiner Größe, sondern auch seinem Köpfchen zu verdanken; mit dreiundsechzig ist er immer noch fast so kräftig wie in seinen besten Zeiten, aber - zumindest vermute ich das - inzwischen sogar noch klüger, weil er niemals mit dem Lernen aufgehört hat.
Auch den Staubsauger beherrscht er wie ein Weltmeister, zu dritt gelang es uns in kürzester Zeit, die Küche wieder in Ordnung zu bringen.
Gänzlich würde sie jedoch nie wieder in Ordnung sein, wie ich befürchte, weil nur noch wenig von dem Royal Worcester- Serie Evesham, in der Vitrine übriggeblieben ist. Die leeren Regalböden waren ein trauriger Anblick. Meine Mutter hatte das feine Geschirr geliebt: die zarten Farben der handgemalten Äpfel und Pflaumen auf den Kaffeetassen, die Brombeeren und Birnen auf den Salattellern... Das Lieblingsgeschirr meiner Mutter war nicht meine Mutter - es waren nur ihre Sachen. Es ist nun einmal so, daß wir gern glauben, Erinnerungen könnten so dauerhaft wie Stahlgravuren sein, wo doch selbst Erinnerungen an Liebe und große Zuneigung in Wirklichkeit erschreckend flüchtig sind, was die Details betrifft. Aber wir können uns
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