Im Bann der Dunkelheit
etwas, das ich Manuel unbedingt sagen mußte.
»Ich meine Feeney«, sagte ich, obwohl der natürlich nicht die unerledigte Sache zwischen uns war. »Du siehst doch auch das er im Werden ist, oder? Das kannst du doch nicht abstreiten.«
»Es kann behandelt werden. Bald wird es eine Therapie geben.«
»Er steht bereits auf der Kippe. Was ist, wenn die Therapie nicht früh genug zur Verfügung steht?«
»Dann müssen wir uns um ihn kümmern.« Er merkte, daß er immer noch den Gummiknüppel in der Hand hielt. Er steckte ihn in die Schlaufe am Gürtel. »Frank ist einer von uns. Wir werden ihm auf unsere Weise Frieden verschaffen.«
»Er hätte mich beinahe getötet. Mich, Bobby, dich, uns alle.«
»Halt dich da raus, Snow. Zum letzten Mal.«
Snow. Nicht mehr Chris. Wenn man jemandem das Haus auseinandernahm, war das, als hätte man den Punkt über dem letzten i und den Strich durch das letzte t in finito gemacht.
»Vielleicht ist der Kerl aus den Nachrichten der Entführer«, sagte ich.
»Welcher Kerl?«
»Der sich die Kinder greift. Drei, vier, fünf kleine Kinder auf einmal. Um sie alle gleichzeitig zu verbrennen.«
»Hier geschieht etwas völlig anderes.« »Wie kannst du dir da so sicher sein?« »Wir leben hier in Moonlight Bay.«
»Nicht alle bösen Menschen sind nur deswegen böse, weil sie im Werden sind.«
Er nahm meine Feststellung offenbar persönlich und funkelte mich an.
Ich kam noch einmal auf die unerledigte Angelegenheit zurück. »Toby ist ein tolles Kind. Ich mag ihn sehr. Ich mache mir Sorgen darüber, was mit ihm gemacht wird. Das Risiko ist verdammt hoch. Ich kann nur hoffen, Manuel, daß am Ende mit ihm alles so wird, wie du es dir wünschst. Wirklich, das hoffe ich mehr als alles andere.«
Er zögerte, doch dann sagte er: »Halt dich da raus. Ich meine es ernst, Snow.«
Eine Weile sah ich ihm nach, wie er mein verwüstetes Haus verließ und sich in eine Welt begab, die sogar noch zerstörter war als das Porzellan meiner Mutter. Am Bordstein standen zwei Streifenwagen. In einen davon stieg er ein.
»Du darfst mich jederzeit wieder besuchen«, sagte ich, als könnte er mich noch hören. »Ich habe noch ein paar Trinkgläser und Servierplatten, die du zerschmettern kannst. Wir werden ein paar Bier zusammen trinken, und du kannst dich am Fernseher austoben oder mit einer Axt über die guten Möbelstücke herfallen oder auf den Teppich pinkeln, wenn dir danach ist. Ich werde ein paar Käsehäppchen machen. Es wird ein großes Fest mit viel Spaß werden.«
Obwohl der Nachmittag trübe, grau und düster war, brannte er mir nichtsdestotrotz in den Augen. Ich schloß die Tür.
Wenn ein geliebter Mensch stirbt - oder, wie in diesem Fall, aus einem anderen Grund für mich verlorengeht ., verarbeite ich den Schmerz stets mit Humor. Selbst in der Nacht, als mein heißgeliebter Vater dem Krebs zum Opfer fiel, riß ich im Kopf einen Witz nach dem anderen über Tote, Särge und unheilbare Krankheiten. Wenn ich zuviel aus dem Krug der Trauer trinke, lande ich sehr schnell bei den Krügen der Verzweiflung. Die Verzweiflung stürzt mich dann in ein so tiefes Selbstmitleid, daß ich darin ertrinke. Das Selbstmitleid regt zu viel Grübelei über die Menschen und alles andere an, was ich verloren habe, über die Abstriche, die ich ständig machen muß, über die Einschränkungen durch meine seltsame nachtgebundene Existenz... und schließlich laufe ich Gefahr, zu jenem Monstrum zu werden, das mit den Hänseleien in meiner Kindheit immer beschworen wurde. Es erscheint mir als frevelhaft, das Leben nicht willkommen zu heißen, aber um es in dunklen Zeiten willkommen heißen zu können, muß ich nach der Schönheit suchen, die im Tragischen verborgen liegt, der Schönheit, die in Wirklichkeit immer da ist und der ich nur durch Humor auf die Spur kommen kann. Man möge mich für oberflächlich oder gar herzlos halten, weil ich im Leid das Lachen suche, den Scherz im Schmerz, aber wir können den Toten mit Lachen und Liebe sehr wohl Ehre erweisen, nämlich genauso, wie wir es im Leben getan haben. Gott muß gewollt haben, daß wir unseren Schmerz durch Lachen überwinden, weil er eine kräftige Portion Absurdität ins Universum gerührt hat, als er den Teig der Schöpfung anrichtete. Ich gebe zu, daß ich in vielerlei Hinsicht ohne Hoffnung bin, aber solange ich lachen kann, bin ich nicht gänzlich ohne Hoffnung.
Ich blickte kurz ins Arbeitszimmer, um einzuschätzen, wie groß der Schaden war, schaltete
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