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Im Bann der Dunkelheit

Im Bann der Dunkelheit

Titel: Im Bann der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Unterschied weiß wohl nur eine Maus zu würdigen. Damit will ich nicht sagen, daß ich die übersinnliche Fähigkeit besitze, über einen Teppich trockener Blätter laufen zu können, ohne ein Knistern zu verursachen. Die Verstohlenheit, die ich erworben habe, nährt sich größtenteils aus drei Dingen: erstens aus der tiefgreifenden Geduld, die XP mich gelehrt hat; zweitens aus der Sicherheit, mit der ich mich nach langer Erfahrung auch durch die dunkelste Nacht bewege; und drittens, was aber nicht minder wichtig ist, aus den Jahrzehnten der Beobachtung von Nachttieren und Vögeln und anderen Geschöpfen, mit denen ich meine Welt teile. Jedes dieser Geschöpfe für sich ist ein Meister der Stille, wenn es darauf ankommt; und es kommt viel öfter darauf an als nicht, denn die Nacht ist ein Reich der Raubtiere, in dem jeder Jäger auch ein Gejagter ist.
    Ich stieg also aus der einen Dunkelheit in eine andere, noch viel dunklere hinab und wünschte mir dabei, ich würde nicht beide Hände für die Leiter benötigen, sondern könnte mich statt dessen wie ein Affe hinabschwingen, flink und behende, mich mit beiden Füßen und der linken Hand festhalten und die Pistole in die rechte nehmen. Andererseits hingegen... wäre ich ein Affe, wäre ich wohl zu klug gewesen, um mich in eine so gefährliche Lage zu bringen.
    Während ich auf dem Weg zum ersten Kellergeschoß war, überlegte ich, wie es der Verfolgte wohl geschafft hatte, mit dem Jungen als Hindernis die Leiter hinabzukommen. Hatte er ihn mit einem Feuerwehrgriff über der Schulter getragen?
    Er hätte Jimmy an Händen und Füßen fesseln müssen, damit dieser nicht aus Panik oder absichtlich Bewegungen machen konnte, die den Entführer vielleicht aus dem Gleichgewicht gebracht hätten. Und obwohl der Junge zwar noch klein war, stellte er doch schon ein beträchtliches Gewicht dar, das den Kidnapper bestimmt nach hinten gezogen hatte, ein Gewicht, gegen das er jedesmal, wenn er eine Hand von einer Sprosse zur nächsten führte, ankämpfen mußte.
    Ich kam zum Schluß, daß der Mann, den ich verfolgte, in gleichem Maße kräftig, agil und zielgerichtet war, wie er psychotisch war. Soviel zu meiner leisen Hoffnung, ich würde einen bierbäuchigen Bibliothekar jagen, der verwirrt und außer Sinnen zu dieser Wahnsinnstat getrieben worden war, weil er den Streß nicht ausgehalten hatte, von der Dezimal- klassifikation auf ein computergestütztes Katalogsystem umsteigen zu müssen.
    Selbst in dem lichtlosen Dunkel, das mich umgab, wußte ich, wann ich die Lücke im Schacht erreicht haben mußte, in der sich einst die Fahrstuhltür des Kellergeschosses befunden hatte, ein Stockwerk unter dem Büro des Lagerhauses. Ich kann nicht erklären, wieso ich es wußte, genausowenig, wie ich die Handlung eines beliebigen Films mit Jackie Chan erklären kann, obwohl ich Jackie-Chan-Filme sehr mag. Vielleicht war da ein Luftzug oder ein Geruch oder ein Widerhall, der so schwach war, daß ich ihn nur unterbewußt wahrnahm.
    Natürlich konnte ich mir nicht sicher sein, daß dies die Etage war, auf die der Kidnapper den Jungen gebracht hatte.
    Vielleicht war er noch tiefer hinabgestiegen.
    Ich lauschte angestrengt in die Stille und hoffte irgendwie, noch einmal jene tiefe Trollstimme zu hören oder eben ein anderes Geräusch, das mich führen würde, und hing da wie eine Spinne in einem zwanghaft gut organisierten Netz. Ich hatte nicht die Absicht, mir unvorsichtige Fliegen und Motten einzuverleiben, aber je länger ich in dieser Dunkelheit verweilte, desto stärker beschlich mich das Gefühl, daß ich gar nicht die Spinne war, gar nicht der Jäger, sondern vielmehr der Gejagte, und daß eine mutierte Tarantel, so groß wie eine Fahrstuhlkabine, aus der Grube unter mir heraufstieg und schon leise die scharfen Mundwerkzeuge aneinanderrieb.
    Mein Dad ist Literaturprofessor gewesen, und während meiner Kindheit hat er mir die Klassiker aus sämtlichen Epochen der Lyrik vorgelesen, von Homer bis Dr. Seuss, von Donald Justice bis Ogden Nash, womit er teilweise für meine ausufernde Phantasie verantwortlich zeichnet. Der Rest kann ruhig dem bereits erwähnten Snack aus Käse, Zwiebelbrot und Jalapenos zugeschrieben werden.
    Oder meinetwegen auch der unheimlichen Atmosphäre und den Gegebenheiten von Fort Wyvern, denn hier hat selbst der vernünftigste Mensch allen Grund, Gedanken an ausgehungerte Riesenspinnen zu hegen. An diesem Ort wurde einst das Unmögliche möglich gemacht. Wären

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