Im Bann der Dunkelheit
lediglich mein Vater und meine Ernährung für die schreckliche Spinne in meiner Vorstellung verantwortlich, so hätte meine Phantasie nicht nur eine einfache Spinne heraufbeschworen, sondern vielleicht ein Bild des grinsenden Grinch aus dem berühmtem Kinderbuch von Dr. Seuss, der zu mir heraufkletterte.
Während ich also an der Leiter hing, wurde der böse Grinch schnell zu einem viel entsetzlicheren Bild, unsagbar gräßlicher als jede Spinne, bis ein weiterer harter Aufprall durch das Gebäude dröhnte und mich in die Wirklichkeit zurückriß.
Er war identisch mit dem Geräusch, das mich bis hierher gelockt hatte: eine Stahltür, die in einen Stahlrahmen fiel.
Das Geräusch war von einer der beiden Ebenen unter mir gekommen.
Obwohl ich riskierte, im Magen der Spinne oder in dem von Grinch zu landen, kletterte ich ein Stockwerk tiefer zur nächsten Öffnung im Schacht.
Ich hatte die zweite unterirdische Ebene kaum erreicht, als ich auch schon die grollende Stimme hörte, allerdings nicht so deutlich wie zuvor, sondern eher noch unverständlicher. Sie kam aber ohne den geringsten Zweifel von der Etage, auf der ich mich jetzt befand, und nicht von der weiter unten am Ende des Schachts.
Ich spähte die Leiter hinauf. Sicherlich stand Orson oben und schaute zu mir herab, konnte mich in der Dunkelheit aber genausowenig sehen wie ich ihn. Immerhin konnte er meinen beruhigenden Geruch wahrnehmen. Beruhigend und durchdringend. Ich schwitzte gewaltig, was zum Teil auf die Anstrengung zurückzuführen war, zum Teil aber auch in der möglicherweise bevorstehenden Konfrontation seinen Grund hatte.
Ich hielt mich mit einer Hand an der Leiter fest, tastete nach der Schachtöffnung, fand sie, griff um die Ecke herum und entdeckte einen metallenen Handgriff auf der Vorderseite des Pfostens, der mir das Wechseln von der Leiter zur Schwelle erleichterte. Hier war kein Brett über das Loch in der Wand genagelt worden, und ich glitt problemlos aus dem Schacht in das Untergeschoß.
Aus der hochpotenzierten Dunkelheit in eine hochkonzentrierte Dunkelheit. Ich zog die Glock und schlich von der Lücke fort, hielt den Rücken dabei aber gegen die Wand gedrückt. Der Beton fühlte sich trotz der isolierenden Schichten meiner Jacke und des Baumwollpullovers kalt an.
Mich überkam ein leiser Anflug von Stolz über meine Leistung, eine seltsame, wenn auch kurzlebige Freude darüber, daß ich es so weit geschafft hatte, ohne entdeckt zu werden.
Das Vergnügen wich unmittelbar einem Frösteln, nachdem ein vernünftigerer Teil von mir wissen wollte, was ich hier verdammt noch mal tat.
Ich schien von einem verrückten Drang gezwungen, getrieben zu werden, in eine immer düsterere, eine unvorstellbare dunkle Umgebung vorzustoßen, ins Herz aller Schwärze, wo die Dunkelheit so komprimiert war wie die Materie in dem Augenblick, bevor der Urknall das Universum ausgespuckt hatte. Um dann, sobald ich es erreicht hatte und nicht mehr die geringste Hoffnung auf Licht bestand, zerquetscht zu werden, bis meine kreischende Seele aus meinem Geist und meinem sterblichen Körper gedrückt wurde wie Most aus einer Traube.
O Mann, ich hätte jetzt ein Bier nötig.
Hatte aber keins mitgebracht. Konnte hier auch keins kriegen.
Statt dessen versuchte ich, tief und langsam durchzuatmen; durch den Mund, um die Lautstärke gering zu halten. Nur für den Fall, daß der mit einer Kettensäge bewaffnete, abscheuliche Troll näher schlich und einen knotigen Finger um den Anlasserschalter krümmte.
Ich selbst bin mein schlimmster Feind. Und das stellt, mehr als jeder andere Charakterzug, meine fundamentale Menschlichkeit unter Beweis.
Die Luft hier unten schmeckte nicht entfernt so gut wie ein kaltes Corona oder Heineken. Sie hatte einen leicht bitteren Geschmack.
Wenn ich das nächste Mal bösen Buben hinterherjage, werde ich am besten eine eisgefüllte Kühltasche samt einem Sixpack Bier mitnehmen.
Eine Weile lang beschwindelte ich mich, indem ich an die drei Meter hohen, glasigen Wellen dachte, die nur darauf warteten, gesurft zu werden, an all die körperliche Liebe mit Sasha und die Tacos und die eiskalten Biere, die noch vor mir lagen, bis die Beklemmung und der klaustrophobische Zustand allmählich nachließen.
Erst nachdem es mir gelungen war, vor meinem geistigen Auge ein Bild von Sashas Gesicht aufzurufen, beruhigte ich mich vollständig. Ihre grauen Augen, so klar wie Regenwasser. Ihr üppiges, mahagonifarbenes Haar. Die Formen ihres Mundes,
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