Im Bann der Gefuehle
war.
„Mum!“ Mit einer winzigen Hand griff er nach oben und berührte ihr Gesicht.
Carys rieb ihre Nasenspitze an seiner runden Wange und hielt Leo dann ein Stück von sich weg. „Hallo, mein Süßer! Hast du einen schönen Tag gehabt?“
Ein breites Grinsen verzog sein verschlafenes Gesicht. „Mum!“ Dann erregte etwas hinter ihr seine Aufmerksamkeit, und Leo streckte sich, um über die Schulter seiner Mutter blicken zu können. Das Grinsen verschwand, und Carys brauchte sich nicht einmal umzudrehen – sie spürte Alessandros Anwesenheit an dem unangenehmen Kribbeln in ihrem Nacken.
So lange hatte sie davon geträumt, er würde hier auftauchen und sie und Leo finden. Ihr gegenüber zugeben, wie falsch er gelegen hatte, und dass ihr Verschwinden ihm unsägliche Schmerzen bereitete. Carys war sogar bereit gewesen, ihm zu verzeihen, sobald er seine wahren Gefühle für sie entdeckt und seine Lebensweise geändert hatte. Und ein einziger Blick in die Augen seines Sohnes hätte genügt, sein Herz für immer zum Schmelzen zu bringen, genauso wie es bei ihr gewesen war.
Aber das würde nie geschehen. In seinem Herzen waren kein Platz und keine Wärme für Carys und Leo. Aber sie würde es nicht ertragen können, wenn Alessandro seinem Ärger auf Kosten des Kleinen Luft machte.
Entschlossen straffte sie die Schultern und wandte sich zu ihm um. Dabei hielt sie ihr Baby fest an sich gepresst und wusste nicht, ob diese Geste mehr zu Leos oder ihrem eigenen Schutz dienen sollte. In jedem Fall würde sie nicht zulassen, dass Alessandro in seiner Gegenwart noch ein abfälliges Wort fallen ließ.
Doch ihre Sorge war gänzlich unbegründet. Aus Alessandros Gesicht war jede Arroganz und Verärgerung gewichen. Mit ausdrucksloser Miene stand er da wie eine Statue, und seine Arme hingen lose an ihm herunter. Er wirkte wie jemand, der zum ersten Mal in seinem Leben ein Baby sah.
Mit einer Hand strich Carys ihrem Sohn sanft die dunklen Locken zurück, aber Leo achtete gar nicht auf sie, sondern hatte sich an seinem Vater festgeguckt. Oder an dem Mann, der sich weigerte, sein Vater zu sein.
Leo hatte außer dem Haar auch noch Alessandros Augen geerbt. Allerdings sah der Kleine damit wie eine freundliche Feengestalt aus, während Alessandro so gut wie überhaupt keine Wärme ausstrahlte. Bei ihm hätten es genauso gut kalte, grüne Felskristalle sein können …
Ihr fiel auf, wie Alessandro sich verspannte und die Hände zu Fäusten ballte. Seine Starre war vorüber, und Carys lief ein eisiger Schauer des Entsetzens über den Rücken. Was würde nun als Nächstes geschehen? Womit musste sie rechnen?
„Wie alt ist er?“, fragte Alessandro heiser.
„Vor sechs Wochen hat er seinen ersten Geburtstag gefeiert.“
„War es eine Frühgeburt?“
„Nein, die Schwangerschaft ging über den Stichtag hinaus.“ Wozu all diese Fragen?
Mit Leos plötzlicher Bewegung hatte Carys nicht gerechnet. Der Kleine zappelte und warf sich regelrecht nach vorn, so als wolle er in die Lücke zwischen ihr und Alessandro stürzen. Mit beiden Händen griff er in die Luft und öffnete mehrmals erwartungsvoll seine Finger. Offenbar wollte er Kontakt zu seinem Vater aufnehmen, doch dieser rührte sich nicht vom Fleck.
Es brach ihr fast das Herz zu beobachten, wie ihr kleiner Junge sich erwartungsvoll seinem Erzeuger zuwandte. Die Enttäuschung war bereits programmiert. Alessandro würde ihn niemals offiziell anerkennen, ihn niemals lieben. Oder gar sie!
Inzwischen war es an der Zeit, auch die letzte ihrer heimlichen Hoffnungen endgültig zu begraben, und je früher Carys das tat, umso besser für sie und ihren Sohn. Nur diese emotionale Freiheit würde ihr die Möglichkeit schenken, dass ihre Wunden heilen konnten.
In der Zwischenzeit musste sie allerdings verhindern, dass Leo die Abneigung seines Vaters zu spüren bekam. Sie würde ihren Jungen schützen und ihm den fehlenden Vater nach Kräften ersetzen, das nahm sie sich fest vor. Leo würde es nicht an Liebe, Unterstützung und Ermutigung fehlen – er sollte es besser als seine Mutter haben.
Ihr Griff wurde fester, und das unruhige Kind sah anklagend zu ihr auf. „Mum!“
„Ja, mein Süßer. Sag mal, bist du hungrig? Sollen wir dir gleich einmal etwas zu essen machen?“ Sie ging einen Schritt auf die Tür zu und ignorierte dabei ganz bewusst den hochgewachsenen Mann, der immer noch wie festgenagelt vor ihr stand. „Jetzt gibt es gleich etwas Feines für dich!“
Es dauerte
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