Im Bann der Leidenschaft
Ratschlägen von Frau Vlastov versehen, trat Zena die lange Fahrt nach Gumuk an, wo die Poststraße endete. Jede Meile entfernte sie noch weiter von Alex. Wehmütig beklagte sie ihren Verlust und ignorierte die dramatische Schönheit des Landes, das sie durchquerte.
Am Abend des zweiten Tages erreichte sie Gumuk, wo sie übernachtete. Ihr leskischer Reiseführer, Ma’amed genannt, begrüßte sie am nächsten Morgen, als sie den kleinen Gasthof verließ. Da der sanftmütige, liebenswerte alte Mann ein paar Brocken Russisch sprach, konnte er sich mit ihr verständigen. Am Vortag hatte ihm Leutnant Vlastov mit Hilfe eines leskischen Dolmetschers genaue Anweisungen gegeben. Der Führer sollte Zena zu ihrem Großvater Iskender-Khan bringen.
Glücklicherweise kannte Ma’amed den Wohnort des einflußreichen Clan-Oberhaupts. Obwohl Rußland nominell im Kaukasus regierte, wurden die russischen Gesetze fern ab von den Garnisonstädten und Hauptpoststraßen kaum beachtet. Hier galten die ungeschriebenen Gesetze der Berge, und die reichen Anführer der Clans herrschten so absolut wie Feudalkönige. 4 Patriarchalische Rechte entkräfteten die zahlreichen Ereignisse, die der russische Vizekönig in Tiflis herausgab.
In einem Kostüm aus gelbbraunem Körper, nicht allzu praktisch für den Ritt auf einem Bergpony, setzte Zena die Reise fort. Der Wagen blieb in Gumuk zurück. Da sie in diesem entlegenen Dorf nicht auf die Etikette achten mußte, raffte sie ihre Röcke, schob den linken Fuß in den hohen Steigbügel und schwang sich in den gepolsterten, mit einem Hinterwulst versehenen Sattel. Gemeinsam mit ihrem Führer machte sie sich auf den Weg.
Bald verließen sie die Hauptstraße in westlicher Richtung und näherten sich dem Grat des Gebirges, an dessen Fuß Gumuk lag. Etwa eine Stunde lang führte der schmale Pfad durch schmale grüne Täler. Hin und wieder sahen sie in der Ferne Dörfer an den Hängen. Das letzte Tal ging in eine Schlucht mit steilen Felswänden über, durch die ein wild schäumender Bach rauschte.
Im Jahr 1899 florierte der Sklavenhandel im Kaukasus immer noch, so wie seit tausend Jahren.
Nachdem Rußland den Kaukasus erobert hatte, waren diese Geschäfte für ungesetzlich erklärt worden. Die russische Herrschaft bereitete den alljährlichen Tributzahlungen in Form menschlicher Geschöpfe an den türkischen Sultan und den Schah von Persien ein Ende. Aber in den Harems des Ostens bestand immer noch eine lebhafte Nachfrage nach Frauen und jungen Männern aus dem Kaukasus.
Offiziell existierte der Sklavenhandel nicht mehr. In Wirklichkeit wurde er nach wie vor schwunghaft betrieben.
Die Unternehmer in dieser lukrativen Branche verhielten sich nur etwas vorsichtiger. Wenn man sich ertappen ließ, drohte eine lebenslange Verbannung nach Sibirien. Wegen dieser Gefahr stiegen die Preise unentwegt.
Als Zena und ihr Begleiter in Gumuk aufbrachen, wurden sie aufmerksam vom Anführer einer Räuberbande beobachtet, der auf der Veranda seines kleinen Hauses saß. Langsam und genüßlich trank er seinen süßen Tee.
3
Der Prinz und seine Begleiter kamen um zehn Uhr abends in Wladikawkas an. In der Station döste ein müder Droschkenfahrer, der beauftragt wurde, Bobby und die Kindermädchen in ein Hotel zu bringen. Dort sollten sie bleiben, während Alex nach seiner Geliebten suchte. Am liebsten wäre er sofort aufgebrochen, nachdem der kleine Junge versorgt war. Aber Ivan erklärte, jetzt würden alle Leute schlafen, die man nach Zena befragen könne, und es sei sinnlos, die Reise aufs Geratewohl fortzusetzen.
In seiner Arroganz war Alex versucht, seine Männer loszuschicken, alle Fahrer in der Stadt wecken zu lassen und zu fragen, ob eine schöne Frau mit kastanienrotem Haar eine Telega gemietet habe. Aber er sah ein, daß es ihm wenig nützen würde, den Unmut der Leute zu erregen. So geduldete er sich, obwohl er kostbare Zeit verlor und Zenas Vorsprung bereits zwei Tage betrug.
Nach einer schlaflosen Nacht stand er schon im Morgengrauen auf und zog sich an. Sobald es der Anstand erlaubte, weckte er Ivan, der die Fährtenleser wachrüttelte. Der Prinz verabschiedete sich von Mariana und küßte die Stirn des schlafenden Kindes. »Wenn ihr irgendwas braucht, wende dich an den Hoteldirektor. Ich habe ihn angewiesen, alle deine Wünsche zu erfüllen. Sollten irgendwelche Schwierigkeiten auftauchen, schick Telegramme an alle Garnisonsstädte zwischen hier und Akhti. Dann wird man mich möglichst schnell
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