Im Bann der Leidenschaften
Irgendwann müssen wir ja wieder aus dem WC raus.
Philippe zieht die Tür auf und grüßt die Leute, die dort stehen, freundlich. Ja, die Schlange ist lang. In Philippes Windschatten schleiche ich mich auf den Gang, senke den Kopf und starte mit knallroter Birne durch. Philippe machen die amüsierten Blicke, die uns folgen, anscheinend nichts aus. Ich möchte nicht wissen, wie oft er diese Nummer schon mit anderen Frauen absolviert hat. Ein Stachel der Eifersucht drückt sich in mein Fleisch. Du hast es nötig, unkt mein Gewissen.
Als wir wieder an unserem Platz sind, durchforste ich als erstes meine Beuteltasche nach der Pillenpackung. Da ist sie. Irritiert starre ich auf die winzig klein geschriebenen Wochentage auf der silbrig glänzenden Rückseite der Zelluphanpackung. „Welchen Tag haben wir heute?“
„Gibt’s ein Problem?“ Philippe macht einen langen Hals.
„Kommt drauf an“, brumme ich.
„Wir haben an einem Donnerstag geheiratet. Wenn der liebe Gott die Reihenfolge der Wochentage nicht geändert hat, müsste heute Freitag sein.“
Sehr witzig. Dann wird mir schlecht. Donnerstag und Freitag sind noch in der Packung.
„Bekommen wir jetzt ein Baby?“ Philippe grinst.
Forschend sehe ich meinem Mann in die blauen Augen. Es scheint ihm nichts auszumachen, dass ich die Pille vergessen habe. Klar, wir sind verheiratet, aber wir kennen uns erst seit drei Monaten. Das ist nicht gerade das, was man eine handelsübliche Familienplanung nennt. Wirklich besprochen haben wir in dieser Hinsicht noch nichts.
Liebevoll schlingt Philippe seine Arme um mich und zieht mich an sich. „Vielleicht bekommen wir ja ein kleines Flitterwochen-Flugzeug-WC-Baby.“
Oder ein kleines Irrgarten-Baby, fährt es mir siedend heiß durch den Kopf. Die Lust-Euphorie, in der ich vorhin auf dem WC schwebte, hat sich komplett aufgelöst und mein schlechtes Gewissen macht sich gnadenlos breit. Die Wand zwischen Vergangenheit und Zukunft, die ich künstlich errichtet hatte, zerfällt zu Staub. Eine Schwangerschaft hat mir gerade noch gefehlt. Insbesondere eine, an deren Ende ein glutäugiges, schwarzhaariges Baby mit karamellbrauner Haut aus mir herausschlüpft.
Ich winde mich aus Philippes Armen, kralle mir mein Smart Phone und verkrieche mich damit auf meinen Liegesitz.
„Würdest du dich denn gar nicht über ein Baby freuen?“ Philippe sieht mich entrüstet an.
Was sage ich darauf? Natürlich wünsche ich mir irgendwann ein Baby. Aber ich will sicher sein, wer der Vater ist. Wenn möglich, sollte der Vater gleichzeitig mein Ehemann sein.
„Du bist sehr komisch, seit ich vorgestern aus Dubai zurückgekehrt bin, Annie.“
Was ist denn jetzt schon wieder los?
„Ach, Philippe, jetzt hör doch mal auf zu unken. Ich will nur sichergehen, ob ich dem Baby schade, wenn ich die Pille einfach weiternehme. Es ist ja gar nicht sicher, ob ich überhaupt schwanger bin. Ich lese hier gerade, dass die Wahrscheinlichkeit, dass man schwanger wird, wenn man die elfte Pille vergisst, verschwindend gering ist, da sich bereits in der ersten Woche ein Schleimpfropf aufbaut, der den Muttermund verschließt. Damit dürfte die Sache erledigt sein.“
Unter Philippes bedauerndem Gesicht schlucke ich die beiden vergessenen Pillen.
Während der Landung diskutieren wir das Für und Wider eines Babys. Dabei stellt sich heraus, dass Philippe sich mindestens zwei wünscht und dass er aufs Land ziehen will, sobald sich Nachwuchs ankündigt.
„Aufs Land?“ Na, das sind ja Aussichten! Ich komme vom Land – und wenn ich irgendwohin auf gar keinen Fall zurück will, dann aufs Land!
„Du kannst Kinder nicht in der Stadt aufziehen!“, empört sich Philippe. „Kinder brauchen Freiheit und frische Luft.“
„Millionen von Kindern wachsen gesund in Paris auf. Oder bist du nicht gesund groß geworden?“
„Ich bin in Beuvron-en-Auge aufgewachsen“, sagt Philippe als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt. „Das ist ein Dorf in der Basse-Normandie, im Norden. Der Atlantik ist ganz nah.“
„Ach du lieber Himmel!“, entfährt es mir.
„Was soll denn das heißen?“
„Du hast mir nie davon erzählt, dass du vom Dorf kommst.“
„Du hast nicht gefragt.“
„Weil du mit deinem weltmännischen Gehabe den Eindruck vermittelst, als hättest du dein Leben lang in der Großstadt gelebt.“
„Mit meinem weltmännischen Gehabe?“
„Ja. Du bist der große Fotograf, der diese ganzen wunderschönen, spindeldürren Models ablichtet und
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