Im Bann der Sinne
obwohl sie lebt."
„Sie konnte dir nicht helfen, ma petite. Du weißt nicht, womit Spencer ihr vielleicht gedroht hat, wenn sie versuchte, Kontakt zu ihren Kindern aufzunehmen."
„Du hast recht. Ich wüsste nur zu gern, wo sie jetzt ist."
„Der Ort macht nicht den Eindruck, als hätte sich hier in den letzten Jahren viel geändert."
Verblüfft über den scheinbar aus dem Zusammenhang gerissenen Gedanken richtete sie ihren Blick auf die Straße. Kendali war eben, wie fast ganz Nebraska. Der Frühling verbreitete einen Hauch von frischem Grün, und die wenigen Bäume blühten pinkfarben oder weiß. Die Stadt selbst aber hatte keine Ausstrahlung, die Gebäude waren mit jahrzehntealtem Staub überzogen. „Nein."
„Vielleicht erinnert sich jemand an deine Eltern?"
Jetzt verstand Charlotte seinen Gedankengang. „Es ist lange her, aber wir können es versuchen. Wir könnten die Männer dort drüben fragen." Sie deutete auf eine Gruppe von drei älteren Männern, die an einem Tisch vor dem Coffeeshop saßen.
„Sie sehen aus, als wohnten sie seit ewigen Zeiten hier."
„Es ist einen Versuch wert. Wenn sie uns nicht helfen können, dann probieren wir es im Rathaus."
Sie stiegen aus, überquerten die leere Straße und gingen zu dem Coffeeshop.
Als sie fast bei den Männern angekommen waren, rieb sich einer von ihnen die wasserblauen Augen und sagte: „Was für ein Anblick! So etwas Hübsches habe ich nicht mehr gesehen, seit Mary Little Dove weggezogen ist."
Charlotte erstarrte. „Sie kennen meine Mutter?", fragte sie ungläubig. So einfach konnte es doch nicht sein.
Der Mann lachte. „Die kleine Charlotte Ashton. Das kann doch wohl nicht wahr sein!" Er schlug sich auf den Schenkel und warf seine Karten auf den Tisch. „Hätte nicht geglaubt, dich jemals wiederzusehen, nachdem Mary alles verkauft und die Stadt verlassen hat."
Offensichtlich glaubte der Mann, sie hätte bei ihrer Mutter gelebt. Sie beschloss, ihn nicht zu berichtigen. „Das war ..."
Er kratzte sich am Kopf. „Das war direkt nach dem Tod deines Vaters, richtig?"
Ein anderer Mann nickte. „Traurige Sache. Mitten aus dem Leben gerissen. Ich mochte David. War ein guter Mann."
Plötzlich erinnerte sie sich lebhaft an den Vater, den sie so früh verloren hatte.
„Meine Mutter hatte keinen Kontakt mehr zu irgendjemandem in der Stadt, oder?"
„Das stimmt leider. Sie war todunglücklich. Hat einfach ihre Sachen gepackt und ist gegangen. Wir haben nie wieder etwas von ihr gehört." Er lächelte bei der Erinnerung. „Sie war ein hübsches kleines Ding. Aber ich denke, es war gut, dass sie zu ihren Leuten zurückgegangen ist - sie brauchte jemanden, der sich um sie kümmerte."
Die drei älteren Männer sinnierten vor sich hin, verloren sich in ihrer eigenen Welt.
Alexandre zog Charlotte fort. „Wir sollten etwas essen, bevor wir fahren." Er führte sie in das Café.
Kaum hatten sie das Lokal betreten, da kam die Kellnerin schon zu ihnen. „Sie können sich einen Tisch aussuchen - der Mittagsansturm ist gerade vorüber", sagte sie. „Was darf ich Ihnen bringen?"
Charlotte überließ Alexandre die Bestellung. Sie war noch erfüllt von dem, was sie erfahren hatte. Als das Essen kam, aß sie Alexandre zu Gefallen, konnte jedoch nicht sagen, was sie gegessen hatte.
Eine Stunde später verließen sie die Stadt. „Todunglücklich", sagte Charlotte leise.
„Weil sie den Mann verloren hat? Oder weil man ihr auch noch die Kinder genommen hat?"
„Du hast gesagt, dass sie euch geliebt hat." Alexandres tiefe Stimme gab ihr Sicherheit.
„Ich erinnere mich an ihren Duft, wenn sie mit mir geschmust hat. Und an ihre Wärme. Ja, sie hat uns geliebt." Seufzend lehnte sie den Kopf gegen die Kopfstütze.
„Ich hasse Spencer. Ich hasse ihn für alles, was er je getan hat."
Sie ballte die Hände zu Fäusten. „Ich weiß, er hat uns ein Leben in Luxus und eine teure Ausbildung ermöglicht, aber wenn er mir meine Mutter genommen hat, dann war der Preis viel zu hoch."
Alexandre versuchte nicht, sie zu beschwichtigen.
„Ich will so schnell wie möglich zu Spencer."
„Natürlich." Alexandre beschleunigte den Wagen. Die Straße war leer und das Land so flach, dass man kilometerweit sehen konnte. „Ich werde den Piloten informieren, dass wir unseren Plan geändert haben. Wir können heute Abend in San Francisco sein."
Charlotte nickte. Sie vertraute darauf, dass er alles regelte. „Kein Wunder, dass die Leute, die hier leben, verrückt
Weitere Kostenlose Bücher