Im Bann der Sinne
Offensichtlich spürte er, dass sie die Zeit brauchte, um sich vorzubereiten.
In Nebraska wurden sie fast von der trockenen Hitze erschlagen, doch Charlotte war so in Gedanken, dass sie kaum etwas wahrnahm. Auf der Autofahrt verwandelte sich ihre Anspannung in Nervosität, und sie war innerlich so kribbelig, dass sie das Gefühl hatte, gleich platzen zu müssen.
„Hör auf, dir so viele Gedanken zu machen, ma petite."
„Ich kann nichts dagegen tun."
Er streichelte über ihre Wange, und irgendwie half ihr dieser Körperkontakt mehr als tausend Worte.
Schließlich erreichten sie Kendali, den letzten bekannten Wohnort von Mary Little Dove Ashton. Die orangefarbene Klinkerfassade vom Krankenhaus war schon von Weitem zu sehen. Obwohl sie sich keine Hoffnung machen wollte, konnte Charlotte nichts gegen ihren vor Aufregung rasenden Puls und die feuchten Hände tun. Sie stieg aus dem Wagen und schlug die Tür zu.
Alexandre kam um den Wagen herum und nahm ihre Hand.
„Der Moment der Wahrheit", flüsterte sie, und starrte auf das Gebäude, das ihr Leben verändern könnte.
„Komm, ma chérie, lass uns hineingehen und sehen, was wir herausfinden können.
Denk daran, ich bin bei dir." Immer.
Ihr Herz hörte das Wort, das er nicht über die Lippen brachte. Doch so, wie er jetzt bei ihr war, wollte sie in schweren Zeiten auch bei ihm sein. Früher oder später würde Alexandre erkennen, dass nicht alle Frauen wankelmütig und untreu waren.
Eine innere rebellische Stimme meldete sich. Wer sagt denn, dass die Beziehung enden muss, wenn er das Weingut verlässt ? Er schien es nicht eilig zu haben, von hier wegzukommen, und sie weigerte sich, ihn kampflos aufzugeben. „Ich bin so froh, dass du bei mir bist."
Sie gingen die wenigen Schritte zum Eingang des Krankenhauses. Der Geruch nach Desinfektionsmitteln, das Schreien eines Babys und die weißen Wände versetzten Charlotte einen Schlag.
Hier war ihr Vater gestorben.
Mit großer Mühe schaffte sie es, sich zusammenzureißen. Sie gingen an die Anmeldung, die von einer jungen Frau in einer gestärkten Schwesterntracht besetzt war. Auf ihrem Namensschild stand „Ann Johnson".
„Kann ich Ihnen helfen?" Die Krankenschwester blickte auf.
„Mein Name ist Charlotte Ashton", begann Charlotte. Sie schöpfte Kraft aus Alexandres Anwesenheit. Er versuchte nicht, das Gespräch an sich zu reißen, aber sie konnte sich darauf verlassen, dass er eingreifen würde, wenn sie ins Stolpern kam. „Meine Mutter und mein Vater sind vor fast zweiundzwanzig Jahren in dieses Krankenhaus eingeliefert worden. Mir wurde gesagt, sie seien gestorben."
„Verstehe." Schwester Ann Johnson blickte Charlotte mit großen Augen an und widmete ihr ihre ganze Aufmerksamkeit.
„Als ich jedoch beim Einwohnermeldeamt die Sterbeurkunden angefordert habe, sagte man mir, dass es keinen Eintrag über den Tod meiner Mutter gibt."
„Merkwürdig. Hat es vielleicht eine Verwechslung gegeben?"
„Das versuche ich gerade herauszufinden. Ich muss die Krankenakte meiner Mutter sehen. Ihr Name war Mary Little Dove Ashton."
„Wir geben solche Akten nicht heraus." Die Frau zeigte zwar Verständnis für Charlottes Anliegen, lehnte aber entschieden ab.
„Ich kann beweisen, dass sie meine Mutter war." Charlotte schob ihre Geburtsurkunde über den Tresen. „Und dies ist die Sterbeurkunde meines Vaters."
Die junge Schwester schien unentschlossen.
„Hören Sie, Sie müssen mir die Akte nicht zeigen. Aber können Sie bitte überprüfen, ob meine Mutter hier gestorben ist? Ich will einfach nur wissen, ob sie vielleicht noch ... lebt", fügte sie leise hinzu.
Die Schwester stand auf und überprüfte sorgfältig die beiden Dokumente.
Schließlich gab sie sie Charlotte zurück. „Eigentlich ist das nicht üblich, aber meinetwegen. Es dürfte kein Problem sein. Allerdings sind diese alten Akten nicht im Computer erfasst, ich muss in den Keller gehen."
Sie drehte sich um und rief jemanden über die Gegensprechanlage. „Sobald Jack hier ist, gehe ich nach unten. Ich schreibe mir nur noch das Datum von der Sterbeurkunde Ihres Vaters auf, dann finde ich die entsprechenden Akten schneller.
Ich kann Ihnen nichts versprechen, aber ich versuche, die Informationen zu finden, die Sie benötigen."
„Danke. Ganz, ganz herzlichen Dank."
Alexandre legte den Arm um ihre Schulter. „Wo können wir auf Sie warten?", fragte er die Krankenschwester.
Die Frau schob sich eine blonde Haarsträhne hinter das Ohr. „Nehmen
Weitere Kostenlose Bücher