Im Bann der Sinne
eine Armlänge von ihm entfernt war. „Bestimmt hast du morgen einen anstrengenden Tag. Du solltest versuchen zu schlafen." Warum konnte sie bloß nicht sagen, was sie so verzweifelt gern sagen wollte?
Sie bemühte sich, die Wahrheit herauszubringen, kämpfte gegen die jahrelange Erziehung an, durch die ihr eingetrichtert worden war, Leidenschaft und Begierde wären gefährlich und schlecht. Sie spürte, wie sich Worte in ihr bildeten, aber wie sehr sie sich auch bemühte, die Angst schnürte ihr die Kehle zu und sie brachte keinen Ton heraus.
Ein enttäuschter Ausdruck erschien auf Calebs Gesicht, doch Vicki war sich nicht sicher, ob sie in dem halbdunklen Raum richtig sah. Caleb trat einen Schritt beiseite, um sie durchzulassen, dann folgte er ihr.
Nachdem sie die Tür zum Schlafzimmer geschlossen und sich dagegen gelehnt hatte, hörte sie, wie er wenige Sekunden später das Gästezimmer betrat.
Tränen brannten ihr in den Augen, doch sie weinte nicht. Was war nur mit ihr los?
War sie so feige, dass sie nicht einmal die notwendigen Schritte unternehmen konnte, um ihre Ehe zu retten? Wollte sie in dem unbefriedigenden Zustand verharren und ihren Mann weiter glauben lassen, sie würde seine Berührungen nicht ertragen?
Sie war unglaublich wütend auf sich selbst. Am liebsten hätte sie geschrien. Sie zwang sich, sich an die beiden Monate zu erinnern, die sie allein in diesem Haus verbracht hatte. An jedem einzelnen Tag war sie in dieses Schlafzimmer gekommen, hatte sich in dieses Bett gelegt und sich nach Caleb gesehnt. Sie hatte auf seiner Seite des Bettes geschlafen, hatte seine alten Hemden getragen und die ganze Nacht davon geträumt, wie sie sich liebten.
Wollte sie erneut so ein Leben führen? Zweifellos würde ihr Mann nicht zurück in ihr Bett kommen, bevor sie ihn nicht davon überzeugt hatte, dass sie ihn wirklich begehrte. Sie hatte ihn zu sehr verletzt.
Der Gedanke daran, wie schlecht Caleb sich fühlen mochte, veranlasste sie, sich aufzurichten. Sie strich sich die Haare hinter die Ohren, straffte die Schultern und öffnete die Tür.
Calebs Tür war offen, und Vicki wusste, warum. Selbst in seinem Ärger wollte er hören, ob sie ihn brauchte. Das ist ein gutes Zeichen, sagte sie sich, als sie das Zimmer betrat. Er lag auf der Seite und wandte ihr den Rücken zu, doch sie wusste, dass er sie kommen hörte, auch wenn er sich nicht bewegte. Zum ersten Mal, seit sie verheiratet waren, drehte Caleb ihr den Rücken zu.
Leise setzte sie sich auf den Bettrand. Dann schlüpfte sie unter die Decke und kuschelte sich an seinen Rücken.
„Was willst du hier, Vicki?"
Noch nie hatte sie ihn so unwirsch sprechen hören. Ihr Selbstvertrauen schrumpfte, aber da sie nun schon mal so weit gekommen war, konnte sie auch weitermachen.
„Du bist weggegangen, ohne mir die Möglichkeit einer Erklärung zu geben."
„Was gibt es da zu erklären?"
So viel, dachte sie, dass ich gar nicht die Worte finde. „Ich wusste nicht ...", flüsterte sie. „Ich wusste nicht, dass du dachtest, ich würde dich nicht begehren. Ich schwöre, ich hatte keine Ahnung." Sie hatte immer befürchtet, etwas falsch zu machen, und hatte sich deshalb ständig zurückgehalten, um ihm nicht zu nahe zu treten. Dabei war ihr gar nicht klar geworden, was sie damit anrichtete.
Caleb nahm sie nicht in die Arme, wie er das früher so oft gemacht hatte. Sie sehnte sich danach, von ihm gehalten zu werden, denn es war sehr schwer für sie, plötzlich die Gefühle zu äußern, die sie ihr ganzes Leben lang versucht hatte zu verstecken.
„Jetzt weißt du es."
Sie musste den nächsten Schritt machen.
Das Problem war nur, Vicki wusste nicht, wie sie diesen nächsten Schritt machen sollte, wie sie die zerstörte Brücke zwischen ihnen wieder reparieren sollte. Sie hatte sich ihm nie anvertraut und nie die Gelegenheit ergriffen, mit ihm über ihren Stolz, ihre Empfindungen und ihre tiefe Unsicherheit zu sprechen.
„Du musst mir helfen", sagte sie leise. Falls sie ihren Ehemann verlor, dann sollte das nicht daran liegen, weil sie nichts riskieren wollte. „Ich kann das nicht ohne dich tun."
Endlich drehte er sich um. Doch er nahm sie nicht in die Arme, sondern stützte sich mit einem Ellbogen ab. „Zwischen uns hat es genug Lügen gegeben. Jetzt sag mir einfach die Wahrheit. Warum?"
Warum hast du mich geheiratet, wenn du meine Berührungen nicht ertragen kannst? Die Worte, die er vorhin im Ärger gesprochen hatte, standen noch immer zwischen
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