Im Bann der Versuchung
hatte, war er betrunken gewesen, hatte eine leichte Gehirnerschütterung gehabt und wäre beinahe ertrunken. Unter solchen Umständen konnte sich ein Mensch sicherlich alles Mögliche einbilden, sogar Wasserfeen.
Das weibliche Wesen von Sgeir Caran war also wahrhaftig ein Mädchen von den Hebriden, und die fahlen Pferde waren lediglich die Wellen gewesen, die ihn an Land geschwemmt hatten. Da er nun wusste, was er dem jungen, unschuldigen Mädchen angetan hatte, konnte er auch die Wut und Bitterkeit in ihren Augen deuten.
Dort draußen lag Sgeir Caran, eine schwarze Silhouette gegen den lavendelfarbenen Nachthimmel. Aus der brodelnden See ragten kleinere Felsen, auch sie waren Teil des langen Riffs, an dem schon so viele Schiffe gestrandet waren, so viele Menschen ihr Leben gelassen hatten. Vater und Mutter waren in einem Orkan dort draußen ertrunken. Ihr Schiff war nicht an Sgeir Caran zerschellt, sondern irgendwo an einer der gefährlichen spitzen Felsnadeln im Riff zerbrochen. Hätte damals auf dem höchsten Punkt des Caran-Riffs ein Leuchtturm gestanden, hätten seine Eltern den tückischen Archipel umschiffen und den sicheren Hafen erreichen können.
Die Baroness und ihre Schar von Anwälten mussten endlich einsehen, dass ein Licht Leid verhindern und Leben retten könnte. Seufzend strich er sich durchs Haar und schwor sich, seinen Kampf für den Leuchtturm auf Sgeir Caran fortzusetzen. Für ihn sollte der Turm auch eine Art Denkmal sein, für all jene, die an diesen Felsen umgekommen waren. Nichts und niemand durfte den Bau dieses stillen Mahnmals verhindern.
Er ballte die Hände zu Fäusten, um sich nicht von der Erinnerung an seine Eltern überwältigen zu lassen. Während er über das weite Wasser schaute, in dem ihre sterblichen Überreste ruhten, wurde ihm bewusst, dass er immer noch Kummer und Wut über den Verlust empfand. Als er zum Mann geworden war, hatte er mit Selbstkontrolle diese Gefühle unterdrückt. Der Tod bedeutete ihm nichts. Zu oft im Leben war er ihm begegnet, als dass er ihn noch fürchten konnte. Auch er hatte Schiffbruch erlitten, hatte wütende Stürme erlebt, war in die Tiefe getaucht, auf hohe Gerüste geklettert. Er hatte viel riskiert, um diese Leuchttürme zu errichten, hatte den Nervenkitzel des Wagemuts erlebt und gelernt, dass Mut lediglich Überwindung der Angst bedeutete.
Von all den Leuchttürmen, deren Bau er bislang übernommen hatte, lag ihm dieser am meisten am Herzen. Es war ein gewisses Sendungsbewusstsein, das ihn anspornte. Er war bekannt für seine Beharrlichkeit. Nie würde er aufgeben, mochten Lady Strathlin oder die Inselbewohner noch so sehr gegen den Bau sein. Er war nicht nur fest überzeugt, dass Sgeir Caran der beste Platz für diesen Turm war, er besaß auch die Unterstützung der Leuchtturmkommission und der Firma Stevenson, die ihn mit diesen Arbeiten betraut hatten. Außerdem schuldete er es all den armen Seelen, die dort draußen ihr Leben gelassen hatten. Er war es seinen Eltern schuldig, einst stark, freundlich und voller Leben der Vater, die Mutter schlank und ruhig, eine belesene Frau mit hübschem, kupferrotem Haar und dem liebsten Lächeln der Welt.
Großer Gott. Es schmerzte immer noch. Unglaublich, wie ihn auch nach achtzehn Jahren noch seine Gefühle überwältigen konnten. Er atmete tief durch und fühlte, wie der fürchterliche Schmerz über den Verlust allmählich nachließ.
„Mr. Stewart." Die Stimme klang ruhig und leise.
Erschrocken fuhr Dougal herum. Er hatte nicht erwartet, hier draußen jemandem zu begegnen. Schon gar nicht ihr. Knietief stand sie zwischen Wildblumen und Gräsern im Mondlicht, Haar und Rock flatterten im Wind. Sie musste wirklich eine Fee sein, tauchte sie doch just in dem Moment auf, in dem er sie brauchte. Es drängte ihn, sie in den Arm zu nehmen, bei ihr Trost zu suchen, so wie er es schon einmal getan hatte. Doch zugleich spürte er ihre Anspannung. Als ob sie fürchtete, erneut verletzt zu werden.
Verlangen und Reue überwältigten ihn. Er wollte sie nur in den Armen halten, sie um Vergebung bitten, glaubte aber nicht, dass dies möglich war.
Sie kam näher. Füße und Kleidersaum waren sandig. Sie musste über die Dünen gekommen sein. Er hatte es nicht bemerkt, so tief war er in Gedanken versunken gewesen.
„Miss MacNeill", sagte er ruhiger, als er sich fühlte. „Ich bin erstaunt, jemanden zu dieser Stunde hier draußen anzutreffen."
„Ich konnte nicht schlafen. Wenn ich auf Caransay bin,
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