Im Bann der Versuchung
den ersten Blick war sie ihm ruhig und kühl erschienen, doch nun bemerkte er eine gewisse Nervosität, ein leichtes Flackern in den Augen. Verstört, da er sich dennoch nicht ganz sicher war, wandte er sich wieder Norrie MacNeill zu.
„Mr. Stewart ist der Herr vom Leuchtturm auf dem Riff", erklärte der Großvater seiner Enkelin.
„Leitender Ingenieur", berichtigte Dougal freundlich. „Ich arbeite hier für die Nördliche Leuchtturmkommission. Wir haben die staatliche Erlaubnis, auf Sgeir Caran einen Leuchtturm zu bauen und hier auf Caransay unser Baulager zu errichten."
„Ich weiß, Mr. Stewart", entgegnete das Mädchen scharf.
Wenn sie mich denn wirklich erkannt hat, überlegte Dougal, dann wird sie wohl kaum erfreut sein. Verübeln konnte er es ihr nicht. Obwohl er äußerlich gelassen blieb, beunruhigte ihn doch der Gedanke, wie verantwortungslos er sich verhalten hatte. Er musste unbedingt mit Miss MacNeill sprechen, und zwar auf jeden Fall allein.
Im Moment wusste er zwar noch nicht, wie er das bewerkstelligen sollte, aber er war ihr eine Erklärung schuldig, wenn man sein Verhalten in jener Nacht überhaupt erklären konnte. Er musste ihr bekennen, was für ein Dummkopf er gewesen war.
„Ich habe heute beobachtet, wie Sie mit Ihren Männern die schroffe Stelle gespalten haben", sagte Norrie. „Das Bohren und Hämmern war weit übers Meer zu hören, als ich meine Netze einholte."
„Die schroffe Stelle?" fragte Alan Clarke.
„Sgeir Caran", erklärte Margaret, obwohl ihr Großvater unwillig zischelte, als wolle er sie zum Schweigen bringen. „So wie viele Fischer auf den Hebriden wird mein Großvater den Namen des Riffs nie laut aussprechen."
„Das bringt Unglück", fügte Norrie hinzu.
„Ich werde mich daran halten", sagte Dougal. „Und ich werde versuchen, so gut wie möglich die örtlichen Traditionen zu respektieren."
„Weshalb bauen Sie dann überhaupt auf diesem Felsen, der für die Menschen auf dieser Insel eine mythologische Bedeutung hat?" fuhr sie ihn an.
„Mir war die Legende, die sich um den Felsen rankt, überhaupt nicht bekannt."
„Die schroffe Stelle gehört dem Each-Uisge, dem Herrn der Tiefe", erklärte Norrie.
„Wem?" fragte Alan Clarke.
„Einem Kelpie oder Wassergeist", erläuterte Margaret. „Ein Wesen, dem große magische Kräfte nachgesagt werden und das manchmal die Gestalt eines weißen Pferdes, manchmal die eines Mannes annimmt."
„Der Legende nach kommt es hin und wieder zur schroffen Stelle und holt sich eine Braut", fuhr Norrie fort. „Verstehen Sie jetzt. Der Felsen gehört ihm. Wenn ihn die Braut befriedigt, dann wird er die Stürme, die über Caransay hinwegfegen, beruhigen und uns alle mit Wohlstand segnen. Wenn man ihn aber ärgern sollte, dann könnte er heftigere Stürme entfesseln und die Fische von unseren Netzen fern halten. Er besitzt so viel Macht, dass er die schroffe Stelle und diese Insel im Meer versinken lassen könnte. "
„Dann sollte man den Kelpie wohl besser nicht verärgern.” Norrie nickte. „In unserer Tradition achten wir darauf, dass er glücklich ist."
„Wie machen Sie das denn? Körbe voller Fische schenken Sie ihm ja wohl nicht?" fragte Clarke belustigt. „Die kann er sich doch selbst zur Genüge fangen. Wenn ich der Kelpie wäre, dann wünschte ich mir Haferplätzchen, Whiskey und möglichst viele hübsche Mädchen."
Norrie lachte leise, wurde aber sofort wieder ernst, als er den mahnenden Blick seiner Enkelin sah, die durchaus nicht amüsiert schien.
„Selbst wenn es manch einer nicht verstehen kann, wir haben unsere Bräuche über Jahrhunderte bewahrt und respektiert", sagte sie streng.
Dougal nickte verständnisvoll. „Ich bitte um Entschuldigung, Miss MacNeill." Ihm war bekannt, dass auf den Hebriden das Leben vom Aberglauben regiert wurde. In der unwirtlichen, unberechenbaren Umgebung vermittelten Legenden, Bräuche und der Glaube an Überirdisches den Menschen Sicherheit und Kraft. Auch Clarke murmelte eine Entschuldigung, als er bemerkte, wie verärgert die junge Frau ihn und Dougal ansah.
„Wir haben von Ihren Schwierigkeiten mit der Baroness gehört", lenkte Norrie das Gespräch auf ein anderes Thema.
Dougal nickte nun grimmig. „Ach ja, mein Zwist mit Lady Strathlin. Sie soll ja ein Sommerhaus auf der Insel besitzen. Ob sie wohl bald kommt? Ich möchte ihr nämlich unser Bauvorhaben auf Sgeir Caran zeigen."
Margaret schwieg, während Norrie bedächtig an seiner Pfeife zog. „Die Lady ist
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